Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Menschen mit Erfolg im Beruf

„Arbeit bringt keine Schande, die Faulheit aber bringt Schande", so ermahnte der griechische Dichter Hesiod seinen arbeitsscheuen Bruder. So klang das vor 2700 Jahren, und abgesehen von Idiom und Wortwahl klingt es heute recht ähnlich. „Hast auch a schöne Postition?" fragt meine fränkische Oma jedes Mal, wenn ich bei ihr bin. „Ja", sage ich dazu, wohl wissend, daß sie sich vorsichtshalber mit dieser vagen Information begnügt. „Ein schöner Mensch", wechselt sie denn auch sofort das Thema und meint den Schweizer Skispringer Simon Ammann, der sich im Fernsehen gerade über seinen sensationellen Sprung freut. Die Aura von Karrieren überwältigte meine Oma schon immer. Sportler, Ärzte, Ingenieure. Erfolg im Beruf zeugt für sie von Tatkraft und Stärke in Geist und Charakter – ein Exempel dafür, daß das Gute in der Welt siegt. Die anständigen Menschen in Berufen wie Bäcker, Blumenbinder, Altenpfleger sind der Mörtel, der die Welt meiner Oma zusammenhält. Die „schönen Menschen" aber, deren Erfolgsgeschichten sie neidlos im Fernsehen bewundert, das ist der Stoff, aus dem ihre Mythen und Märchen gewoben werden.

Dabei sollte sie es besser wissen! Denn lange Jahre war sie Leserin des Magazins Revue, eines Blattes, das zu Unrecht als affirmativ oder gar unseriös abgetan wird. Das Gegenteil ist der Fall. Das Magazin verblüfft durch Schonungslosigkeit und Radikalität, die Scheinwelt der Erfolgreichen demaskiert Revue als billige Farce. Eine Ausgabe aus dem Jahr 1965, die ich im Schrank meiner Oma unter einem Haufen Garnrollen fand, gewährt verblüffende Einblicke in die Wirklichkeit der Karriereberufe. Eine Reportage handelt von Knochenchirurgen. Ärzte – die Fernsehstars meiner Oma und unzähliger anderer Bundesbürger! Über die Hälfte der Knochenoperationen in der vorgestellten Klinik entlarvt Revue als Spätfolgen mißglückter vorangegangener Operationen. Dringend empfiehlt da ein Arzt, das Niveau der Chirurgie anzuheben. Zu viele Menschenleben hat der Pfusch bereits gekostet. Ein Beispiel handelt von einem Mann, der nach einem Unfall eingeliefert wird. Der Chirurg beobachtet ihn zwei Tage lang. Unterdessen stirbt der Mann, was der Arzt anschließend bedauert.

Genug nun von Ärzten. Die Revue hat noch andere Berufe im Repertoire. Die Beatles liefern ein erfreulicheres Bild ihrer Profession. Sie „komponieren prima Melodien", schreiben gute Texte und werden von Revue lediglich für ihre „überflüssige Aufmachung" kritisiert. Schlimm steht es um den Beruf des Skilehrers. Die Arlberger Skischule hat 6000 Skilehrer hervorgebracht, berichtet Revue. Jeder dritte davon nennt sich Toni. Sie unterrichten ausschließlich Damen, und wer „nicht mindestens fünf pro Kurs näher kennenlernt, muß schon ein schweres Gebrechen haben", gibt einer der Tonis zu Protokoll. Die besten Hasen stellen sie sich gegenseitig vor, denn im Gebirge teilt man alles. Bei Vaterschaftsklagen leisten die Skilehrer notfalls Meineide. Wer sich aus dem Berufsleben zurückzieht, widmet sich der illegalen Schnapsbrennerei und läßt sich von einer reichen Bauersfrau aushalten.

Doch auch schöne Menschen in wunderbaren Berufen entdeckt Revue. Ursula Kardos, 67, ist Prophetin und lebt in einem Luxusbungalow in Dahlem. Sie kennt Willy Brandt persönlich, ihren Rat schätzen Damen der Gesellschaft ebenso wie Repräsentanten der Politik. Seit 25 Jahren berät sie erfolgreich ein deutsches Millionenunternehmen. Ein Kopf, wie aus Holz geschnitzt – die Kardos! Temperamentvoll, energiegeladen, helle gescheite Augen. Revue gewährt sie einen Gratisblick in die Zukunft: Die Wiedervereinigung kommt. Vermutlich aber erst im Jahr 1967. Im September 1966 gibt es Frieden in Vietnam und im Jahr 2002 wird die Arbeitslosigkeit überwunden sein. Keine herumlungernden Typen mehr, keine Faulenzer. Es wird nur noch schöne Menschen geben, mit Erfolg im Beruf.

Tina Veihelmann

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