Ausgabe 03 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Partisanen

Wenn wir die World-Trade-Center-Attentäter nicht als Terroristen, sondern als Partisanen begreifen, dann imponiert nicht nur die symbolische Gewalt ihres Attentats, sondern ihre jahrelange Illegalität, in der die Vorbereitung auf die Tat im wesentlichen aus der Einübung in ein legales – normales – G8-Leben bestand. Man spricht hierbei von „Schläfern", so als würde eine Terrorzentrale – wie weiland die Geheimdienste – irgendwo still ihre Leute plazieren, um sie im geeigneten Moment in Marsch zu setzen. Das Schläfer-Dasein der WTC-Attentäter bestand jedoch nicht aus Abwarten, sie führten eher ein aktives Doppelleben, wobei das eine zum anderen hinführte: Zwei Leben, die am letzten Tag quasi gezielt versöhnt wurden. Das ist die neue Qualität, die sie in das Partisanentum gebracht haben. Zu sterben verstanden die Partisanen schon immer besser als gepreßte oder bezahlte Soldaten. Aber jetzt breitet sich der Verdacht aus, daß jeder Penner ein Schläfer sein könnte, sogar der rasenmähende Nachbar. Besonders in den USA, wo vor allem den Neueinwanderern, die nicht mehr mit der alten Heimat identifiziert und noch nicht in die neue integriert waren, ein optimaler Erkenntnisstandpunkt für die sozialen Prozesse zufiel – die „Marginal Man Position". Klugheit und Kritik wecken nun sofort den Verdacht, Terrorist zu sein. Das zeigt sich am Antiterror-Manifest der 48 US-Intellektuellen, das nur eine Ergebenheitsadresse ist, wie man sie aus den Stalinschen Zeiten des „Großen Terrors" kennt. Seit der Auflösung der Sowjetunion muß der Große Terror ohne jede Staatsmacht auskommen, er ist quasi wieder privatwirtschaftlich geworden. Und also können sogar geheime US-Regierungsstellen mit ihm verbunden sein: Auch auf sie fällt der Verdacht, ein doppeltes Spiel zu treiben. Und auf den kleinen Mann sowieso, seitdem immer mehr Schüler und Arbeiter Amok laufen – und irgendwann wie aus heiterem Himmel anfangen, ihre Mitschüler und Lehrer oder Kollegen und Vorgesetzten zu erschießen; neuerdings verschicken die Erniedrigten und Beleidigten auch gerne fingierte Anthrax-Briefe an ihre vermeintlichen Peiniger. Wo die Gesellschaft sich zersetzt und nur noch Vater, Mutter, Kind als kläglichen Rest gelten läßt (in dem übrigens auch alle von einem Doppelleben träumen), entwickeln sich die gegeneinander gehetzten und zugleich auseinandergejagten Individuen zu unberechenbaren „Privatpartisanen". Zuletzt müssen die privatisierten Sicherheitsdienste und Body-Guards vor allem dafür sorgen, ihre Auftraggeber vor sich selbst zu schützen. Wenn sie nicht sowieso zur privaten Exekutive dienen. Das Wort Partisan kommt aus den USA, wo es während des Befreiungskriegs der Kolonisten gegen die englischen und deutschen Söldner entstand – und bis heute „entschiedener Parteigänger" bedeutet. Die Elite dieser Guerilla, das waren die „Minutemen": junge Farmer, die bereits eine Minute nach dem Alarm Feld oder Hof verließen und bewaffnet auf dem Marktplatz standen – bereit zum Widerstand. Noch heute erinnert der Name einer interkontinentalen Kampfrakete an sie. Die WTC-Attentäter könnte man demgegenüber als „Dezenniumboys" bezeichnen. Das würde diesen entschieden zielorientierten Alltagsprofis alles Schläferhafte nehmen, das eher für solche Penner gilt, die sich jahrzehntelang blind an alles anpassen, nur um dann plötzlich ebenso blind irgendwelche Freunde und Kollegen umzulegen. Es gibt auf Deutsch einen ganzen Reader über Sabotage in den USA, die dort wegen des weit verbreiteten Gewerkschaftsverbots als individueller Widerstand in Form von dumpfer Rache bereits epidemische Ausmaße angenommen hat. Wie man daraus nun bewußte „Alltagspartisanen" macht, dafür hat der Jesuit Michel de Certeau mit seinem Buch Kunst des Alltags beizeiten eine triftige Grundlage geschaffen; erschienen ist es auf Deutsch im Merve Verlag. Die von ihm beeinflußten Künstler scheinen derzeit jedoch eher – umgekehrt – von der offenen „Gewalt" fasziniert zu sein. Oder jedenfalls findet in Wien bei der General Art Foundation gerade eine Ausstellung über „Gewalt – als der Rand aller Dinge" statt, die von der Berliner Politkünstlerin Imma Harms mit einer „Software-Installation" bestückt wurde, in der es um einen gesprochenen Text der gerade in Moabit angeklagten RZ-Terroristin Sabine Eckle geht: „Warum wir den Vorsitzenden Richter des Asylsenats am Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher in die Knie geschossen haben". Im Berliner Haus des Lehrers fand derweil die Kunstaktion „Mind Mapping" statt, in der es um das „Urbane Destruktionspotential" ging. Die Teilnehmer mußten dazu zehn Bomben an Orten ihrer Wahl plazieren, die anschließend telefonisch „gezündet" wurden. Und im Hotel Maritim castete die schwäbische Hightech-Waffenfirma Optronic 300 Statisten für ein Manöver der US Army am Bodensee, wo sie – darunter auch einige Exil-Rotarmisten, die zuvor in Babelsberg bereits als Halbpartisanen im „Stalingrad"-Film mitgewirkt hatten – nun als kosovo-albanische Alltagsterroristen eingesetzt werden.

Helmut Höge

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 03 - 2002