Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Steuerlich betrachtet

Angestellte Menschen bekommen eine Steuerkarte ins Haus geschickt. Auf der Karte steht: „Ehefrau?" Auf meiner war von Beamtenhand ausgefüllt: „Nein." ­ „Kinder?" Dahinter von Beamtenhand ausgefüllt: „Keine." Da diese Personalangaben nicht stimmen, schrieb ich höflich an das Finanzamt: „Ich bin verheiratet und habe ein Kind." Man möge so freundlich sein und die Angaben richtigstellen. Acht Tage darauf bekam ich eine Karte: „Auf ihren Antrag betreffend Steuerermäßigung werden Sie gebeten, sich am 2. März von 10 bis 11 Uhr im Zimmer 133 zu melden." Ich dachte, vielleicht hat das Finanzamt Telephon. Es hatte wirklich. Ich erreichte sogar Zimmer 133.

„Sie bieten mir Steuerermäßigung an", sagte ich, „ich möchte auch sehr gern welche haben, aber einen Antrag habe ich nicht gestellt. Ich habe Ihnen nur meine Karte zur Richtigstellung der Personalien geschickt."

„Das haben wir als Antrag auf Steuerermäßigung aufgefaßt", sagte der freundliche Beamte, „mit der Ausfüllung der Karte haben wir nichts zu tun, das ist Sache des Bezirksamts."

„So. Und was ist mit Steuerermäßigung für mich?"

„Sie können keine bekommen. Deswegen haben wir Sie ja herbestellt."

Nach diesem völlig irrsinnigen Dialog beschloß ich, die Sache dieses Mal mündlich beim Bezirksamt zu regeln. Ich ging also hin. Ich sagte, die Karte sei falsch ausgefüllt. Man möchte so freundlich sein, meine Personalien richtigzustellen.

„Die sind ja ganz richtig", sagte der Beamte, „Sie haben doch keine Ehefrau, die hat doch nur ihr Mann, und steuerlich betrachtet haben Sie auch kein Kind, das betrifft nur Ihren Mann."

Meine Karte ist also in Ordnung. Ich bin zwar menschlich betrachtet eine Ehefrau, aber steuerlich angesehen habe ich keine. Ich habe zwar in Wirklichkeit ein Kind, aber steuerlich betrachtet bin ich kinderlos. Man wird zugeben, daß diese Art der Fragestellung an eine Frau eigentümlich ist. Die einzige Erklärung wäre, daß die Steuer mich mit dem Major Barker verwechselt hat, der jetzt in London sitzt, weil er eigentlich Mrs. Smith heißt. Aber ich verkehre nicht mal im Eldorado*.

Berliner Tageblatt, 26.3.1929

* In den Zwanzigern gab es in Schöneberg ein Lokal namens Eldorado, in dem Travestie-Shows augeführt wurden.

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