Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
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Brückenschläge in die Beliebigkeit

Nach der Abwicklung der Biennale: Aktuelle statt neue Musik

Ein Eldorado der neuen, gar der Neuen Musik ­ in der emphatischen Großschreibung der heroischen Nachkriegsavantgarde ­ ist das alte Westberlin niemals gewesen. Das lag in erster Linie am schwachen SFB, der es im Gegensatz zum WDR oder aber auch zum kleinen Radio Bremen nie geschafft, wohl auch kaum je ernsthaft versucht hat, die ummauerte Stadt zu einem Fokus zeitgenössischer Musik zu machen; das RSO Berlin, das heutige Deutsche Symphonie-Orchester, das immer lieber Sibelius als Lachenmann gespielt hat, wird erst in allerjüngster Zeit von Kent Nagano etwas aufgeweckt.

Der Ostteil der Stadt war nun auch nicht gerade ein Mekka der Avantgarde, und es gab dort auch keinen „Warschauer Herbst" ­ immerhin aber die Musik-Biennale, das „internationale Fest für zeitgenössische Musik". Das Erstaunliche: Das Festival durfte nach der Annexion der DDR weiterbestehen und wurde von den Berliner Festspielen übernommen. Die neunziger Jahre waren dann eine richtige Erfolgsgeschichte. In der höchst anregenden Retrospektive „Neue Musik im geteilten Deutschland" wurde die Musikgeschichte der beiden deutschen Staaten Jahrzehnt für Jahrzehnt aufgearbeitet; daneben gab es immer eine Vielzahl von Uraufführungen. Im März 2002 fand die Biennale dann zum letzten Mal statt. „Das Feld ist bestellt", résumierte damals die scheidende Leiterin Heike Hoffmann. Da war Joachim Sartorius bereits im Amt, die Abwicklung des Festivals beschlossene Sache. Der Kulturmanager, der auch mit seinen miserablen Gedichten die Öffentlichkeit nicht scheut, scheint angetreten, alles anders, nichts aber besser zu machen als sein Vorgänger Ulrich Eckhardt.

Nun haben wir also die Bescherung: Auf Heike Hoffmann folgte Matthias Osterwold; statt der Biennale gibt es jetzt jährlich eine „MaerzMusik", so der alberne Name. Ein „Festival für aktuelle Musik" soll das werden ­ nicht mehr für zeitgenössische, wohlgemerkt. Aktuell ist nun freilich alles mögliche: improvisierte Musik, Bachs Wohltemperiertes Klavier, bio-sensorische Vernetzung in einer „Late Lounge" und ein zwölfstündiges „John Cage Event", das auch noch allen Ernstes so heißt. Eine „Vielfalt der Strömungen" wollen die Veranstalter präsentieren, Brücken schlagen, man kennt das. Sicher, es wird auch Stockhausen aufgeführt, das Ensemble Modern ist wieder dabei, und vielleicht hält der China-Schwerpunkt (muß natürlich wieder eine „lange Nacht" sein) Entdeckungen bereit ­ unübersehbar aber ist das eine Reise in Richtung Beliebigkeit. Nun sollen also die Improvisierer und die Elektronikszene mit ihren Lounges auch mit ins Festivalboot geholt werden, allen soll es recht gemacht werden; seriöse, komponierte Musik ist nicht mehr trendy genug, ihre Nische in Berlin wird somit kleiner; statt 18 Uraufführungen auf der letzten Biennale sind es nur noch sieben.

Gegen das, was im März droht, war das „UltraSchall"-Festival Ende Januar, das sich wenigstens noch für „neue Musik" zuständig fühlt, eine Wohltat ­ und das muß auch als ein Abstieg im Vergleich zum kleineren Vorgänger „ex negativo" gelten; die Namen sprechen für sich.

Florian Neuner

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