Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Auf der Bühne und auf der Straße

Die Fotografin Eva Kemlein im Verborgenen Museum

Mit Glück hat die 92jährige Fotografin Eva Kemlein ihre Leica über die Jahre der antisemitischen Verfolgung und Illegalität unter den Nazis gerettet. Nach dem Krieg begleitete sie mit ihr dann mehrere Jahrzehnte Berliner Theatergeschichte. Aber Eva Kemlein hängt nicht an der Vergangenheit: Vor einiger Zeit hat sie den alten Apparat in Zahlung gegeben und sich einen „Japaner" zugelegt, denn „der ist schneller". „So wie es ist, bleibt es nicht" ist ihr Lebensmotto und der Titel einer Hommage des Verborgenen Museums an die Künstlerin. Im Berlin der Stunde Null per Fahrrad aus russischen Beständen unterwegs, dokumentierte die Fotografin in vielen Bildern eine Stadt der Frauen: Berlinerinnen beim „Enttrümmern mit Musik", beim Dachdecken und Plakatieren, als Verkehrspolizistin, auf dem Schwarzmarkt oder ganz privat beim Zerkleinern der Eisschicht in der Badewanne im strengen Winter 45/46.

Zu sehen waren die Aufnahmen der Pendlerin zwischen Ost- und Westsektoren oft in der Berliner Zeitung. Mit einem Kollegen bekam sie 1950 den Auftrag, das Stadtschloß vor dem Abriß in allen Details abzulichten: Ein dicker Engel vom Eosanderportal, plump am Boden kauernd, oder die „Demontage eines Drachentöters" gehören zu den Tausenden von Fotos der Serie. Eva Kemlein glaubte an eine bessere sozialistische Zukunft und hielt den Abbruch damals für eine angemessene Art des Aufräumens mit der Vergangenheit. Letzteres hat sich geändert, aber Wiederaufbau-Nostalgikern hält sie entschieden entgegen: „Andere Sachen waren auch schön und sind nicht mehr da!"

Seit den frühen fünfziger Jahren widmet sie sich fast ausschließlich der Theaterfotografie ­ der langjährige Freund Ernst Busch als Galilei oder Helene Weigel als Mutter Courage sind ebenso in der Ausstellung vertreten wie Martin Held, Ruth Berghaus oder der Geiger David Oistrach. Die visuelle Intensität der Bühnengeschehens im Theater ist der Grund, warum die Fotografin die Bühne des Alltags, die Straße, verlassen hat. Fasziniert von der „Vermittlung des Wortes" ist sie ein Leben lang geblieben: Bis in die jüngste Zeit fand selten eine Premiere ohne Eva Kemlein statt. Ein Dilemma aber teilen Theater- und Straßenfotografie: „Meistens sind die schönsten Stellen im Dunkeln ..."

Annette Zerpner

„So wie es ist, bleibt es nicht – Hommage an die Fotografin Eva Kemlein" noch bis zum 24. März im Verborgenen Museum in der Schlüterstr. 70, Charlottenburg, Do und Fr 15–19 Uhr sowie Sa und So 12–16 Uhr

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