Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Chancen für Freies Radio

Seit über zehn Jahren kämpfen Berliner für einen freien Sender

Zum ersten Mal hat in Berlin eine Regierung den politischen Willen zum Betrieb eines Freien Radios erklärt. Das geschah freilich nicht ohne den Druck – oder besser: die Penetranz der Basis. Man hätte die Geschichte auch mit: Die Unermüdlichkeit der Ameise betiteln können. In der Tat beweisen diejenigen, die in Berlin auf eine freie Stimme im Äther dringen, einen unfaßbar langen Atem. Für eine von Subkultur und linker Szene getragenen Dauerkampagne ein Faszinosum. Schon 1989 begann in Berlin der Sender Radio P, die allgemein chaotischen Verhältnisse ausnutzend, einen regelmäßigen Piratensendebetrieb von Prenzlauer Berger Dächern. Schon bald erklärte Radio P, es wolle sich nicht kriminalisieren lassen, sondern strebe einen legalen Sendestatus an. Im Sommer 1994 wäre der ursprüngliche Sender tot gewesen, die Verfolgung durch Polizei und Telekom war stärker und die authentische Prenzlauer Berg-Szene müde geworden – Artikulation hatte offenbar seine Halbwertzeit überschritten. Hätte sich das seltsame Wesen nicht gehäutet, keiner hätte heute mehr über seine durchaus unbescheidene Forderung gesprochen: eine legale Sendefrequenz für ein Freies Radio. Radio P öffnete sich, sammelte sämtliche erreichbaren Radioinitiativen und bewältigte, wenn auch nicht konfliktlos, sogar die Vereinigung mit Westberlinern. Da die flüchtige Erscheinung nun zur Konstante werden sollte, und doch keiner so genau wußte, wie es weitergehen würde, nannte man sich fortan „pi": die unberechenbare Konstante. Aber das Anrennen gegen die verfilzten und völlig erstarrten Strukturen der Berliner Mediengesetzgebung erwies sich als kräftezehrender als erwartet. Als die Unberechenbaren bei der Landesmedienanstalt eine Frequenz für Freies Radio beantragten, offenbarte sich, daß „Freies Radio" im Vokabular der Behörde überhaupt nicht existierte. Für Berlin/Brandenburg teilte sich der Medienhimmel noch immer in zwei Hälften: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den privaten. Dieses Verständnis von Medienlandschaft als „dualem System" war damals schon antiquiert. Bereits 1993 hatten andere Bundesländer angefangen, eine „dritte Säule" zu etablieren: den „nichtkommerziellen, lokalen Rundfunk". Die Auffassung, „daß die Medien als vierte Gewalt im System der Gewaltenteilung sich eines zusätzlichen, stabilen Korrektivs versichern" müßten (Amzoll, 1994), hatte das Spektrum von Bürgerfunkern lang überwunden und manifestierte sich bereits in ersten Mediengesetzen. 1993 fand der „nichtkommerzielle, lokale Rundfunk" Eingang in das Mediengesetz Niedersachsens. Diese Art von Rundfunk kontrolliert anstelle eines Rundfunkrats, bestehend aus offiziellen Vertretern der „gesellschaftlich relevanten Gruppen" (z.B. Kirchen und das Rote Kreuz) eine Konferenz von Bürgern mit freiem Zugang. Finanziert wird jenes „Korrektiv" ebenso wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk anteilig aus Gebühren der GEZ. Mittlerweile gibt es eine solche ergänzende „dritte Säule" in fast allen Bundesländern. Ausgenommen sind das Saarland, Bremen und – Berlin/Brandenburg.

Immerhin acht Jahre trennen den Gründungstag der unberechenbaren Konstante nebst seinem offiziellen Arm, dem „Landesverband Freier Radios", vom heutigen Datum. In dieser Zeit sendete pi-Radio über befristete Veranstaltungsfrequenzen und leistete immer wieder Lobbyarbeit, um die Gesetzeslage zu ändern. Vergeblich. 1997 entging der Verein nur knapp der Selbstauflösung. Doch pi erwies sich als Stehaufmännchen, berappelte sich und erlangte im Jahr 2000 mit dem Sendestart der Piratensender „Radio Westfernsehen" – dreist vom Dach des Tacheles – sogar wieder einen gewissen Bekanntheitsgrad. Dennoch zeigte sich die Politik davon unbeeindruckt.

Daß irgendwann doch noch Tauwetter einsetzen würde, damit hätten auch die zähesten Kämpfer kaum mehr gerechnet. Nun hat die rot-rote Regierung in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen, daß „eine Förderung nichtkommerziellen Lokalfunks wünschenswert sei". Auf dieser Grundlage hat eine entsprechende Gesetzesnovelle gute Chancen, denn das Mediengesetz wird ohnehin geändert, wenn ORB und SFB fusionieren. Ob es tatsächlich doch noch Freies Radio geben wird? Und wer wird es für sich in Anspruch nehmen? So ist das eben: unberechenbar.

Tina Veihelmann

pi-Radio sammelt für eine Sendelizenz Unterschriften auf der Webseite www.radiokampagne.de. Außerdem findet am 21. Februar um 20 Uhr eine Info-und Diskussionsveranstaltung zum Freien Radio im Freudenhaus, Lottumstr. 10 in Mitte statt.

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