Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Bundesbindeband, Parlamentsmanege, Kanzlersphinx

Von peinlichen und heimlichen Metaphern in der Berliner Staatsarchitektur

Drei Gruppen von Menschen sind es, die sich im Regierungsviertel herumtreiben: Nutzer, Aufpasser und Besucher. Von den einen sieht man nichts, von den anderen kaum mehr als die Überwachungskameras. Die dritten sind die gleichen wie überall. Vorher hatten sie am Brandenburger Tor herumgestanden, in versprengten Gruppen die Dorotheenblöcke erkundet, vereinzelt sogar das Dreckloch des Lehrter Bahnhofs inspiziert. Voller Fleiß tun sie ihre Pflicht als Touristen, die da lautet: Staune! Und dann geh nach Hause. Nur wenigen sieht man eine reflektierte, gar skeptische Haltung an. Das überrascht. Seit knapp zehn Jahren werden die Entwürfe in den Feuilletons der Zeitungen abgebildet, beschrieben und diskutiert. Sogar die Reiseführer bemühen sich um anspruchsvolle Architekturkritik, wenn es um das Regierungsviertel geht. So viele Erwartungen lasten auf der Staatsarchitektur der Berliner Republik – aber wenn man die Besucher des Regierungsviertels belauscht, hört man nur: „Das ist schon beeindruckend!" Der trivialste Satz, der einem zu großen Gebäuden einfallen kann. Es ist, wie über Schnaps „Das macht schon besoffen!" zu sagen.

Hatte man das gewollt? Der Entwurfsprozeß begann 1993, als ein großer Wettbewerb die Ankunft der alten Bundesrepublik in Berlin vorbereiten sollte. 835 Wettbewerbsbeiträge waren im Staatsratsgebäude ausgestellt. Hier war das Publikum noch kritischer: Stundenlang schlenderte es zwischen den Stellwänden herum, mit nachlassender Neugier, aber um Sorgfalt bemüht. Hier und dort trat jemand näher, um die Erläuterungstexte zu überfliegen. Auch einige Kenner waren da und begutachteten mit eingeübter Skepsis die Entwürfe. Vor dem großen Modell des Siegerentwurfs erklärten Männer ihren Frauen gestenreich und mit gestrecktem Zeigefinger Geschichte und Bedeutung der verschiedensten Gebäude. Geschichte, Bedeutung... Alle spürten, daß Axel Schultes, der Schöpfer des städtebaulichen Grundkonzeptes und Architekt des Kanzleramtes, es ernst meinte, wenn er dem deutschen Volk „Staat zeigen" wollte. Mit hemmungslosem Pathos, ohne Ironie oder jene Bescheidenheit, die als „falsch" zu diffamieren man gerade erst begonnen hatte. In ihren Berliner Projekten sang die neue Obrigkeit ihr eigenes Lied, und alle waren ganz Ohr.

In dieser Phase klang es noch gar nicht so übel. Im ersten Entwurf zum Reichstagsumbau z.B. sollte vor dem Parlament ein halb eingegrabener, aber für jedermann zugänglicher Gebäudekomplex mit städtischen Nutzungen entstehen; sein Dach sollte abgelöst vom alten Gebäude frei schweben und noch die Hälfte des Platzes der Republik überspannen. In der Mitte des steifen Riegels, der als „Band des Bundes" in Schultes' banaler Metaphorik „Ost und West verbinden" sollte, war das „Bürgerforum" geplant. Hier wollte die Obrigkeit ihrem Souverän Gastfreundschaft gewähren. Ursprünglich sollte dieses Bundesbindeband, obwohl es sich nach außen als strenge Großform präsentiert, in seinem Inneren aus völlig unhierarchisch zusammengewürfelten, frei geformten Einzelteilen bestehen. Der Sinn seiner hermetischen Außenfront war es, auf Zäune und Sicherheitszonen verzichten zu können. Jeder Bürger sollte direkt an das Gebäude herantreten dürfen, um so seinen Vetretern wenn schon nicht ins Gesicht zu schauen, so doch ­ dies sagte Schultes allerdings nicht ­ wenigstens an der Wand zu lauschen. Eigentlich.

Der Reichstag ist, wie wir wissen, ganz anders geworden. Und das Bundesband? Auch wenn man – dank einiger störrischer Plattenbauten an der Luisenstraße – am Ostufer der Spree nur einen Brückenkopf bilden konnte, hat die kilometerlange, schneidend gerade Außenflucht alle Umplanungen unbeschadet überstanden. Das Band als solches aber nicht: Das Bürgerforum wurde eingespart, so daß die Ost-West-Verbindung nun unterbrochen ist und die sinnige Dreieinigkeit aus Volk, Parlament und Regierung unvollständig bleibt. Und Kohl quengelte so lange, bis seine Residenz den Rest der Anlage um das doppelte überragte. Neben dem Reichstag stehen sich jetzt Kanzleramt und Abgeordnetenhaus als zwei weitere einsame, riesenhafte Solitäre breitbeinig gegenüber. Das verspielte Kunterbunt in ihrem Inneren ist einer pedantischen Symmetrie gewichen: Bis zu den Sonnenschutzlamellen ist alles rechts wie links, Nord wie Süd identisch. Und nach außen schienen die Gebäude den Sicherheitsberatern bei aller Wehrhaftigkeit noch zu schutzlos: Man hat noch einen Zaun davorgestellt.

Die geneigte Öffentlichkeit war nicht nur zufrieden, sondern sichtlich begeistert: Die Berliner Zeitung schwafelte hingerissen von der „Riesenmanege" und dem „säulenumkränzten Kirchenrund" des neuen Reichstages. In der Bauwelt rutschte die Beschreibung des Kanzleramtes – ein Palastbau in Aufbau, Gestus und Dimension – in die Nähe von Kaisergeburtstagsdichtung: Die schlichte Bonner Dienstwohnung z.B. wurde in Berlin zu einem „Kanzler-Gemach" geadelt. Dort ging ein Staatsgast mit seinen Begleitern – hier „schreitet er mit seinem Gefolge" und heißt „Kanzlergast". Die ganze ehrfurchtsvolle, bisweilen höfische Tonlage solcher Rezeptionen zeigt, daß die Berliner Regierungsarchitektur, die aus einer vorgeblich unschuldigen grafischen Faszination (so Andreas Ammon) heraus entwickelt wurde, auch eine politische Botschaft enthält – und bei diesen Betrachtern erfolgreich an den Mann gebracht hat. Was hier dem Volk gezeigt wird, ist nicht eigentlich Staat. Die Aussage ist vielmehr Würde, Größe, Macht – kurz gesagt: Herrschaft.

Ratlos starren die Besucher in die endlosen Achsen, die rigide Geometrie des Ensembles. Über ihnen das trutzige Gemäuer des Reichstags, festlich gekrönt von der neuen Kuppel, die eine Adaption der alten ist und ihre traurige Erinnerung weiterträgt. Vor einem unscheinbaren Türchen im prachtvollen Portal warten die Schaulustigen in einer langen Schlange, daß der Türsteher sie hineinschlüpfen läßt. Keine Bank hat man für sie errichtet, kein Kiosk und schon gar nicht der Tapeziertisch einer politischen Initiative ist hier gestattet. Die Leute stehen herum, warten und staunen. In kleinen Gruppen wandern sie später am Abgeordnetenhaus entlang, vorbei an der penibel gleichförmigen Reihung der Seitenflügel und den stramm ins Unendliche marschierenden Laternen. Verloren stehen sie schließlich vor dem Kanzleramt herum, das sich theatralisch vor ihnen aufbaut, mit ausgestreckten Vorderbeinen und fernem Blick wie eine Sphinx. Sie blicken sich ein bißchen um. Dann gehen sie nach Hause.

Johannes Touché

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