Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Kommunismus à la CDU

Zehn Jahre Mißwirtschaft der Großen Koalition haben den Berliner Haushalt schlimmer ruiniert als erwartet. Doch die Prügel kassiert die PDS

Die Berliner PDS hat ein Problem. Zäh hatte sie mit der SPD die Koalitionsvereinbarungen und Sparpläne ausgehandelt ­ doch die könnten schon wieder Makulatur sein. Denn nur drei Wochen später legte der neue SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin neue Zahlen zum Berliner Haushalt vor.

An schlechte Zahlen ist Berlin längst gewöhnt. Doch diese hier sind monströs. Das Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben beträgt derzeit zwei Milliarden Euro pro Jahr. Die diesjährige Neuverschuldung zur Finanzierung des Haushalts steigt auf 6,3 Milliarden Euro, statt, wie bisher erwartet, auf 3,6 Milliarden. Insgesamt wird sich der Schuldenberg von jetzt 39 Milliarden Euro auf 56 Milliarden Euro im Jahr 2006 erhöhen. Sämtliche Haushaltspläne der letzten Jahre waren also geschönt, auch die Grundlage der Koalitionsverhandlungen: Einnahmen wurden zu hoch kalkuliert, Ausgaben zu niedrig angesetzt, Risiken verschleiert. Berlin hat sich jahrelang buchstäblich in die Tasche lügen lassen.

Doch schon ein paar Tage vor Sarrazins Horrorzahlen konnte einem bei der Lektüre des Spiegel das Essen aus dem Mund fallen: Das Magazin berichtete, daß infolge des Skandals der Berliner Bankgesellschaft auf das Land Berlin weit höhere Forderungen zukommen werden als bislang bekannt. Das Gesamtrisiko liegt bei ca. 30 Milliarden. Berlin wird, so Sarrazin, jährlich 300 Millionen Euro dafür bereitstellen müssen ­ und das zehn bis fünfzehn Jahre lang.

Hintergrund sind die Immobilienfonds der zu 81% landeseigenen Bankgesellschaft. Obwohl schon 1995 in Berlin jeder wissen konnte, daß sämtliche Wachstumserwartungen für Berlin – Bevölkerungszahlen, zusätzliche Wohnungen und Büroflächen – drastisch nach unten korrigiert werden mußten, legte die Bankgesellschaft über 50 Fonds für Objekte vor allem im Osten auf. Investoren garantierte sie völlig unrealistische Mieteinnahmen, als überall der Leerstand sichtbar zu- statt abnahm, Anleger wurden mit Steuervorteilen gelockt. Die Risiken jedoch wurden beim Land Berlin abgeladen. Bei fast allen Fonds gibt es erhebliche Mietausfälle. Die bezahlt nun – Berlin.

Schlicht gesagt: Trotz besseren Wissens um die Realitäten hat eine Handvoll Banker und Politiker der Großen Koalition jahrelang die Stadt hemmungslos verzockt. Der Witz dabei ist, daß diejenigen, die den Ossis am vehementesten die Marktwirtschaft predigten ­ wie der CDU-Politiker, Banker und Fondsanleger Landowsky ­ selbst die simpelsten Mechanismen des Marktes, wie Angebot und Nachfrage, ignorierten. Eine Art privater CDU-Kommunismus: privatisierte Gewinne, vergesellschaftete Verluste.

Hinzu kommen die frisierten Haushaltspläne. Fazit: Innerhalb von zehn Jahren hat die Große Koalition die Stadt über Jahrzehnte hinaus ruiniert. In solchem Tempo hat das nicht mal die DDR geschafft.

Man sollte meinen, dem Spiegel-Bericht sei ein veritabler Aufschrei durch die Berliner Medien gefolgt. Doch allein die taz widmete sich dem Thema engagiert. Die anderen schwiegen sich über den Anteil des Bankenskandals am Gesamtdesaster und über dessen Ursachen weitgehend aus und arbeiteten sich lieber am neuen Senat ab ­ in Berlin geht es selten logisch zu. In einem Kommentar einer „Hauptstadtzeitung" war gar zu lesen, die rot-rote Koalition benutze bloß die Horrorzahlen, um ihre Sparpläne besser durchpeitschen zu können. Für derart krause Artikel gibt es nur eine Erklärung: Die, die so schreiben, haben das ihre dazu beigetragen, das System Diepgen/Landowsky am Leben zu halten. „Laß uns noch ein bißchen länger die Augen zumachen, um der Wirklichkeit nicht ins Gesicht zu sehen." Die Trauer um den Verlust des beschaulichen, hochsubventionierten Westberlins mag menschlich nachvollziehbar sein. Aber Journalismus ist das nicht, und ehrlich ist es auch nicht.

30 Milliarden Euro Risiken. 56 Milliarden Euro Schulden im Jahr 2006. Allein die Zinsen verschlingen jährlich 3,1 Milliarden Euro. Es ist unmöglich, sich solche Summen vorzustellen. Aber angesichts solcher Summen sind auch die derzeitigen Sparpläne hinfällig. Und hier zeigt sich ein Dilemma: Denn die Posten, die am meisten zu Buche schlagen, sind kaum zu korrigieren. Die Verwaltung ist zwar aufgebläht, doch sie gibt bislang ­ schon durch die Pensionsansprüche von Beamten ­ beim Personalabbau wenig an Einsparungen her. Die Verwaltungsreform war offenbar nicht mal ein Reförmchen. Der zweite große Posten ist die überteuerte Wohnungsbauförderung mit sehr langfristigen Darlehen aus Westberliner Zeiten ­ die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Der dritte dicke Posten ist der Bankenskandal: Auch hier ist das Rad nicht zurückzudrehen. Dasselbe gilt für die nach der Wende aufgelegten teuren Entwicklungsgebiete. Man sollte Stadtführungen durch Investruinen anbieten ­ davon hat Berlin genug.

Und deshalb hat jetzt die PDS ein dickes, auch psychologisches Problem. Sie ist angetreten, den Haushalt zu konsolidieren, aber mit sozialem Augenmaß. Doch plötzlich sind die Zahlen noch weit schlimmer als erwartet. Wenn jedoch an den Posten, die das meiste Geld verschlingen, nicht gespart werden kann, trifft es wieder: Sozialhilfeempfänger (darunter viele Kinder oder alleinerziehende Mütter) Schulen, Kitas, Bäder. Das ist nicht die Schuld der neuen Koalition ­ jedenfalls nicht der PDS, und deshalb ist es unehrlich, ihr jetzt „Wahlbetrug" vorzuwerfen. Nur wird angesichts dieser monströsen Zahlen kaum mehr zu vermitteln sein, daß mühsam hier und da Kleinstsümmchen weiter zusammengekürzt werden. Noch schwerer wird es fallen, seinen Kindern irgendwann einmal zu erklären, daß sie mit ihren Steuern die Zeche für frühere politische Hütchenspieler zu zahlen haben ­ die noch dazu saftige Abfindungen kassierten oder einen gutdotierten Platz im Bundestag. Und es wird vollends unmöglich, Berlin aus der Krise herauszubringen, wenn weiter alle Lobbyisten ­ wie die Gewerkschaften ­ auf ihren Pfründen beharren. Der soziale Riß durch die Stadt ist schon tief genug.

Wenn diese desaströsen Haushaltszahlen das Ergebnis von zehn Jahren Großer Koalition mit all ihren Marktwirtschaftsexperten sind, warum soll man da eigentlich noch Angst vor den Kommunisten haben

Ulrike Steglich

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 02 - 2002