Ausgabe 02 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Aufbau West

Die neue Koalition ist angetreten, die „Einheit" der Stadt – was immer das genau heißen soll – voranzubringen. Selbst einige PDS-skeptische Kommentatoren halten das anscheinend nicht für ganz ausgeschlossen. Doch wie soll es geschehen? Indem man Theater, Krankenhäuser und Kinderbauernhöfe nach einem Ost-West-Proporz schließt? Das ist wohl wenig aussichtsreich. Erfolgversprechender und mit weniger Reibungsverlusten verbunden scheint es da schon, das, was eigentlich schon zu Zeiten der Weimarer Republik nicht wirklich zusammengehörte, geschweige denn: -wuchs, auf einer symbolischen Ebene anzugehen. Der Bau eines Rosa-Luxemburg-Denkmals auf dem gleichnamigen Platz, auf den man sich bereits geeinigt hat, ist freilich eher dazu geeignet, das Gegenteil zu bewirken; denn das Denkmal, von dem ästhetisch äußerst fragwürdige Entwürfe im Stil des sozialistischen Realismus kursieren, freut die alten Genossen und ärgert die Bürger am Lietzensee.

Nach inoffiziellen Informationen, die dem scheinschlag bereits vorliegen, plant der rot-rote Senat jedoch demnächst einen spektakulären Coup: den Wiederaufbau des Lenin-Denkmals, nicht jedoch auf dem ehemals gleichnamigen Platz im Friedrichshain – sondern auf dem Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg! Ein kraftvolles städtebauliches Zeichen, das die beiden Stadthälften einander ästhetisch wirklich etwas näher bringen könnte. Das alte Denkmal, so ist zu erfahren, existiert nur noch in einigen Trümmern, die schlecht als Grundlage für eine Rekonstruktion taugen. Aber ein Lenin ist kein Schloß, und denkmalpflegerische Einwände sind kaum zu befürchten. Die bisher intern kursierenden Vorentwürfe plaidieren ohnehin für einen Wiederaufbau des Denkmals in einer um ein mehrfaches vergrößerten Version: Mit den bereits existierenden Hochhäusern entstünde so ein ausgewogenes Proportionenverhältnis.

Über den Sponsor für dieses Millionen-Projekt kann im Augenblick nur spekuliert werden. Ein ernstzunehmender Informant aus dem Regierungsumfeld äußerte jedoch die Vermutung, daß die PDS einen Großteil der für das Denkmal notwendige Summe aus ihrem Parteivermögen zur Verfügung zu stellen beabsichtige ­ um der leidigen Diskussion über ihre angeblich versteckten Millionen ein Ende zu bereiten. Sie wollten damit deutlich machen: „Wir haben zwar keine Millionen versteckt, aber wir möchten uns entschuldigen!" Außerdem scheint ein SPD-Wahlspendenkonsortium bereit, einen Teil der Kosten für den Aufbau zu übernehmen.

Fehlt nun nur noch der Mut der Verantwortlichen, das Rosa-Luxemburg-Denkmal in kalifornischem Chic (äußerster Westen!) zu planen und bei Frank Gehry in Auftrag zu geben. Dann wären wir vielleicht wirklich schon zwei Schritte weiter.

Peter Stirner/Roland Abbiate/Otto Witte

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