Ausgabe 01 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Seelenheil, neu aufgelegt

In den Klassenräumen von Waldorfschulen ereignen sich befremdliche Dinge

Die von Rudolph Steiner (1861-1925) entwickelte Waldorfpädagogik fußt auf der von ihm begründeten Anthroposophie, einer spirituellen Heilslehre, die ihren Anhängern Gesundheit, Seelenheil und übersinnliche Fähigkeiten verspricht. Dazu gehören Reinkarnation, Dämonen, dem Christentum entliehene Erzengel ebenso wie Steiners Theorie über die Entwicklung der Menschheit in aufeinanderfolgenden „Wurzelrassen". Seine „Akasha-Chronik", beinhaltet neben „Tatsachen" wie dem Atlantis-Mythos auch die Eigenschaften der heutigen Rassen samt ihrer determinierten Geschichte. „Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geist schaffende Rasse", während Schwarze „alles Licht und alle Wärme vom Weltraum aufsaugen", im Hinterhirn und im Rückenmark verarbeiten und der „Neger drinnen fortwährend gekocht" wird, was sein starkes Triebleben erklärt. Das Judentum hat nach Steiner „längst ausgelebt, hat keine Berechtigung des modernen Völkerlebens, und daß es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten."

Trotz positiver Elemente wie der Abwesenheit von Noten, ist die Waldorfpädagogik durch und durch autoritär. Bis zur achten Klasse unterrichtet ausschließlich ein Klassenlehrer und diktiert den Schülern in ihre Hefte, die als alleiniges Lehrbuch dienen. Unter Steiners Portrait im Klassenraum wird die Lehrkraft zum Universalgenie. Zum Schulalltag gehören das Auswendiglernen und Aufsagen im Chor ebenso wie morgendliches Gebet. Da der Gründungslehrer Arbeitgeber und Chefideologe einer Schule in einem ist, können kritische Lehrer leicht aus der Schule „herausgeeitert" werden. Entgegen der Aussage von Waldorfschulen, anthroposophische Inhalte seien gar nicht Unterrichtsgegenstand, drangen seit den neunziger Jahren verstärkt Berichte über Tabellen zur Kategorisierung von Rassen und Erzählungen über Arieropferfeuer in Schulheften von Waldorfschülern in die Medien. So berichtet u.a. der Zentralrat der Juden von einer Häufung antisemitischer Vorfälle.

Kritik begegnen Anthroposophen in Scientology-Manier: Neben legitimen Mitteln wie Protestbriefaktionen und Klagen müssen Kritiker auch mit Diffamierungen rechnen. In der Öffentlichkeit versuchen sie Vorwürfe zu entkräften, indem sie Vorfälle leugnen und Kritikern den Sachverstand absprechen.

Der harte Kampf gegen die Kritiker hat Gründe: Waldorfschulen leben vom Image der „Erziehung zur Freiheit", da sie auf staatliche Förderung wie auf immer neue Schüler und die Beiträge ihrer Eltern angewiesen sind. 1990 gab es in Deutschland 118 Waldorfschulen, zur Zeit sind es 174, an denen 70000 Schüler unterrichtet werden.

Anthroposophen können sich auf einflußreiche Lobbyisten in Politik und Wirtschaft stützen und werden zum Beispiel finanziell durch Siemens und Bertelsmann gefördert. Gefragt, woher die Begeisterung für Waldorfschulen in deutschen Alternativenkreisen rührt, antwortet Anthroposophiekritiker Bierl: „Sie ist Teil der allgemeinen Rechtsentwicklung und Verblödung. Übrigens haben auch Kohl, Genscher, Hohlmeier oder Diepgen ihre Kinder auf Waldorfschulen geschickt. Die Schule liegt im Trend. Eine fast ausländerfreie Privatschule, scheinbar soft, aber im Kern auf subtile Weise autoritär."

Alexander Haas

Gekürzter Nachdruck aus „Tendenz", Zeitung der JungdemokratInnen/Junge Linke, Ausgabe Herbst 2001

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