Ausgabe 01 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Rot-rote Konsolidierung

Zwar wird im Koalitionsvertrag Tacheles geredet, doch das Einschwenken auf den alten Kurs ist schon abzusehen

Als sich die Berliner SPD am 11. Januar zum Parteitag im ICC traf, um den Koalitionsvertrag abzusegnen, war eigentlich alles wie zu Zeiten der Großen Koalition: Vor der Tür demonstrierten die Beschäftigten des FU-Klinikums gegen den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze. Mit dabei diesmal auch die Junge Union, diverse SED-Opferverbände, der Präsident der FU und selbst in der ersten Reihe ­ fast Aug in Aug mit der Polizei ­ der ehemalige CDU-Innensenator Heckelmann. Noch bevor der neue Senat die Arbeit aufnahm, blies ihm bereits heftiger der Wind ins Gesicht als geplant. Und zwar von Rechts. Schnell machte das böse Wort vom Wahlbetrug die Runde. Bei der Abwicklung des Klinikums Benjamin Franklin mag das stimmen. Doch ansonsten wußte jeder, der es wissen wollte, daß es nach der Wahl zu härtesten Einschnitten kommen würde. Wenig überraschend gibt es daher kaum Überraschungen. Einziges „Reformprojekt" des SPD-PDS-Senats bleibt die Haushaltskonsolidierung. Dabei sind die Voraussetzungen noch ungünstiger als vor Jahresfrist.

Als Stadt und Land zugleich ist Berlin in besonderem Maße von den Steuerausfällen im Zuge der momentanen Rezession betroffen. Auch erweist sich die gerade erst mit rund zwei Milliarden Euro vor dem Bankrott gerettete Bankgesellschaft Berlin weiterhin als Faß ohne Boden. Trotz Kapitalerhöhung und intensiver Bemühungen fand die Finanzverwaltung bislang keinen Investor für die marode Bankgesellschaft ­ das Immobilien-Risiko ist einfach zu groß. Um ihr überhaupt eine Zukunftschance zu sichern, beschloß der rot-grüne Übergangssenat, alle Altrisiken des Immobiliengeschäfts zu übernehmen ­ eine Sozialisierung von Verlusten im großen Stil. Dabei handelt es sich nicht ­ wie zu vermuten wäre ­ um Geschäfte, die vor dem Platzen der Immobilienblase getätigt wurden, sondern weitestgehend um Engagements der Jahre 1995 bis 2000. In dieser Zeit versuchten die Bank-Töchter IBG und IBAG aggressiv, die bundesweite Marktführerschaft im Vertrieb geschlossener Immobilienfonds zu erringen. Welche Belastungen in Zukunft noch auf das Land zukommen werden, ist nicht kalkulierbar. Je nach Entwicklung der Konjunktur und des Immobiliensektors könnten es schnell mehrere Milliarden Euro werden.

Dank Krajewski und Wolf wird im Koalitionsvertrag Tacheles geredet: „Berlin ist ein Sanierungsfall" und „Berlin wird unverzüglich Gespräche mit dem Bund aufnehmen, um die bestehenden Regelungen zur Hauptstadtfinanzierung nachhaltig zu verbessern." Noch bevor allerdings die Gespräche über einen „Berlin-Pakt" richtig anlaufen konnten, weigerte sich Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) abermals demonstrativ, der Hauptstadt finanziell unter die Arme zu greifen. Einzig Saar-Import und Lafontaine-Vertraute Christiane Krajewski widersprach und drohte mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht. Schließlich werden die anvisierten Kürzungen, die weit über den Personalbereich hinausgehen, kaum ausreichen, den Haushalt nachhaltig zu konsolidieren. Wer das will, müßte den halben Öffentlichen Dienst entlassen. Und zwar sofort. Noch im Dezember entschied sich Krajewski aus „ganz persönlichen Gründen", dem neuen Senat nicht angehören zu wollen. Trotz aller Versuche der SPD die Reihen zu schließen, ließen sich die eigentlichen Gründe nicht lange unter der Decke halten. Ursache war die mangelnde Unterstützung durch den Regierenden Bürgermeister, den absehbar harten Konflikt mit dem Bund auch wirklich konsequent zu verfolgen (das dauert Jahre) und gleichzeitig Krajewski bei ihren massiven Konsolidierungsbemühungen den Rücken freizuhalten. Die einzig spannende Frage lautet: Wie lange wird die neue Lebenslüge, die Neuverschuldung bis 2009 auf Null zu reduzieren, halten. Vermutlich nicht mal bis zur nächsten Wahl.

Es darf gerätselt werden, in welchem Maße sich die PDS nun von ihren Milieus und Wählern entfremden wird. Bei der De-Fakto-Zustimmung zum Flughafenstandort Schönefeld ist die Empörung der Anwohner und treuen PDS-Wähler bereits riesengroß. In der Vergangenheit konnte sich die PDS bei den Kürzungen der Großen Koalition als soziales Gewissen und ehrlicher Makler links der Sozialdemokratie verkaufen. Jetzt muß sie als „Arzt am Krankenbett des Kapitalismus" selbst tiefe Einschnitte verantworten. Auf den ersten Blick mag das Fehlen jeglicher harter Konflikte innerhalb der PDS verwundern. Doch nur auf den ersten Blick. Der Tagesspiegel bringt die PDS-Gemütslage auf den Punkt: „Das ungeschriebene Hauptziel der PDS war stets, vom Westen respektiert zu werden, ohne dabei allzu viel Vergangenheit aufgeben zu müssen. Darum wird es auch keine Entzauberung durch das Regieren geben, keine rebellische Basis und auch keine öffentliche Enttäuschung wie bei den Grünen."

Stattdessen setzt „New Labour East", die PDS, geschickt auf symbolische Politik: Olympia 2012 in Berlin wurde abgesagt, der Kulturetat wird nicht gekürzt, die Tram fährt bald auch über die Leipziger Straße, der Luxemburg-Platz bekommt seine Rosa als Denkmal und der Staatsschutz wird in eine politikberatende Agentur umgewandelt – arme Schlapphüte!

Birger Scholz

© scheinschlag 2002
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 01 - 2002