Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Farbe bekennen

Abscheulich-gefährliche Farbgebung:
Ein Ausflug in die Geschichte des Berliner Traditionsbewußtseins

ohne das Gesicht zu verlieren

Diese getönten Scheiben ­ sieht aus wie ein getunter VW-Bus, die neue Straßenbahn. Da hat die BVG sich eine Proloschüssel zugelegt. Tiefergelegt sind die Dinger ja schon länger ­ aber jetzt das.

Nachdem mich der neueste Straßenbahntyp mit seinen grünlichen Scheiben auf der Warschauer Straße erschreckt hatte, interessierte mich, was unser Verkehrsbetrieb zu seiner Entschuldigung vorzubringen hatte. Straßenbahndirektor Dr. Wolfgang Predl verkündete in BVG plus, eshandele sich um den „ICE" unter den Straßenbahnen. Dort durfte er ungestraft Sätze sagen wie: „Getönte Panoramafenster, vollverglaste Türen und eine transparent gestaltete Rückwand der Fahrerkabine vermitteln ganz neue Fahrgefühle." Bei allem Respekt für die Bürgernähe unserer modernen Dienstleistungsgesellschaft, kann ich mich mit der Geschmacklosigkeit kaum abfinden. Die geringe Dramatik der Situation läßt mich wehmütig an vergangene Zeiten denken – als um die Angelegenheit der BVG-Farben noch gekämpft wurde...

1985 – West-Berlin hatte seit kurzem seine S-Bahn wieder, und zwar nununter BVG-Führung. Die Reichsbahn hatte die Betriebsführung aufgesteckt, und West-Berlin mußte die Ulbricht-Honecker-Bahn nicht mehr längerboykottieren. Die komplizierte Rechtslage des Eisenbahnbetriebs in der Front-stadt ließ einen Verkauf modernisierter S-Bahnwagen an die BVG nicht zu, und so landeten beim Betreiber,der „schnelle Verbindungen für eine schnelle Stadt" versprach, nur die ältesten Exemplare

Wie eigentlich immer, nutzte die BVG die Krise als Chance und beauftragte die ortsansässige Waggon Union mit der Entwicklung neuer Züge. Angesichts der Dynamik der Aufgabe betraute man das Designbüro Lindinger & Partner mit der Entwicklung eines neuen Farbschemas. Michael Grunwald schrieb für das Berliner Volksblatt im September 1985 den Pressetext der Designer so ab: „Die animierende, Kristallblau genannte, wie ein Hellgrau mit leichtem blauen Stich anzusehende Grundfarbe verbreitet ein Flair von Leichtigkeit und Schnelligkeit. Das nachtblaue Fensterband schafft Proportion und Eleganz. Die signalroten Applikationen setzen Akzente." Der Zusatz: „Keineswegs zutiefst provinziell, wie einige Mitbürger meinen, sondern hochgradig professionell" sei das Farbkonzept, dürfte dem Eigenanteil des Autors zuzurechnen sein und läßt bereits die aufziehende Entrüstung der West-Berliner über mangelnde Traditionspflege erahnen.

Als ein Jahr später die Prototypen fertig waren, zeichnete sich das bevorstehende Waterloo des Prof. Lindinger ­ dem zudem vorgeworfen wurde, aus Hannover zu stammen ­ bereits ab. Immerhin 18208 West-Berliner stimmten, in der SFB-Fernsehsendung „Stadtgespräch" am 22. Oktober 1986, per TED ab, und 55 Prozent von ihnen konnten sich nicht für den „grauen Flanellton" (Dr. Dietmar Pannier 1987 im Fachorgan „Berliner Verkehrsblätter") erwärmen.

Die Ereignisse überschlugen sich, und im Januar 1987 kam es zum demokratischen Umsturz. Bei einer Fahrgastbefragung stimmten 80 Prozent für beige/rot bei der S-Bahn. So konnte Dr. Pannier, der zu seinem eigenen Bedauern schon seit Jahrzehnten nicht mehr in Berlin wohnte, sich der Stadt jedoch noch sehr verbunden fühlte, schwärmen: „Und seien wir mal ehrlich, ein farbenfroher Zug paßt doch viel besser zu Berlin und zum Grunewald, auch aus Gründen der Farblehre: Rot am Zug ­ grün die Wälder, das sind die richtigen Komplementärfarben."

In den Berliner Farbenstreit kehrte trügerische Ruhe ein. Doch 1989 wagte der neue BVG-Direktor Lorenzen einen neuen Vorstoß. Aus dem BVG-Logo sollte der Bär verschwinden und alle Fahrzeuge der BVG sollten weiß lackiert werden, mit einem kleinen gelben Streifen unter den Fenstern. Nun konnten nicht einmal die Berliner Verkehrsblätter ­ sonst eher nüchtern in der Berichterstattung ­ mehr an sich halten. Warum sollten die „Großen Gelben", die „wie die roten Doppeldecker in London als Markenzeichen für ihre Städte weltbekannt" sind, „ohne zwingenden Anlaß" verschwinden? Sogar Richard von Weizsäcker empörte sich bei einer Rede anläßlich Theodor Heuß' 100. Geburtstag über den vorgesehenen Verlust des Bären auf Bussen und Bahnen.

Lorenzen spielte mit dem Feuer, stellte das Konzept offiziell zurück, gab jedoch heimlich den Auftrag, einen S-Bahnzug weiß lackieren zu lassen. Verkehrssenator Wagner ließ den corpus delicti noch vor Werksauslieferung traditionell umlackieren. Kosten: 62614,- DM. Das Lackspiel konnte weiter gehen.

Der glücklose S-Bahn-Chef Axel Nawrocki wünschte sich Anfang 1995 in einem Interview in Anlehnung an die BB-Landesfarben weiß-rote S-Bahnen. Die 1. Klasse-Sitze waren übrigens ebenfalls seine Idee. Die Sache verlief irgendwie im Sande, so daß die neuen Waggons schließlich in gelb-rot herauskamen – was den Berlinern jedoch nicht weniger unhistorisch vorkam.

Hinter den Kulissen wurde weiter für die bekannte Farbaufteilung mit rotem Zierstreifen gefochten, und nachdem ein probehalber so beklebter Zug die Herzen für sich gewinnen konnte, wurde dieses Modell verbindlich.

Daß die S-Bahn schließlich doch noch aufs richtige Gleis kam, dankte ihr 1998 J. Czarnetzki in einem Leserbrief an die Berliner Zeitung: „Wir haben als engagierte Fahrgäste Hochachtung vor der Geschäftsführung der S-Bahn Berlin GmbH, jetzt noch (...) die unbeliebte, hauptsächlich gelbe Farbgebung von verirrten U-Bahnen und Gleisbaufahrzeugen zu ändern." Herr Czarnetzki muß derart empört gewesen sein, daß er noch elf Jahre später erneut auf die „abscheulich-gefährliche Farbgebung Grau/Blau im Anfangsstadium der Baureihe 480" hinwies.

In einem anderen Leserbrief an die Berliner Zeitung bewies einige Wochen später Eberhard Dassow, daß es keine einfachen Wahrheiten gibt: „Als die BVG in den Achtzigern die S-Bahn für Westberlin übernahm, änderte sie Grünbraun RAL 8000 in Sandgelb RAL 1002, das sie für ihre Busse benutzte. An die Stelle von Purpurrot trat ein heute noch aktueller Farbton, Rubinrot RAL 3003. Seit der Wende wird statt des Sandgelb das Ockergelb RAL 1024 verwendet."

Wenn ich heute die letzten Jahre Revue passieren lasse, verzichte ich lieber auf Kritik an der neuen Straßenbahn. Aus Angst vor möglichen Mitstreitern.

Nicolas Sustr

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