Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berühmter noch als Vasil Bilak

Kein Film über Warhol: Ruthenische Interpretationen einer unverstandenen Welt

Seit Anfang November läuft Stanislaw Muchas neuester Dokumentarfilm Absolut Warhola in den Berliner Kinos. Die Grundidee des Films ist gut: das von Mystifikationen und künstlerischen Selbstinszenierungen zugekleisterte Bild des Pop-Art-Stars Andy Warhol mit den Ansichten seiner bäurisch-bodenständigen, munter vor sich hinsaufenden Sippschaft aus dem ostslowakischen Ruthenien zu konfrontieren. Warhols Eltern stammten aus Mikova, einem Dorf in dieser Gegend, seine Tanten, Vettern und Kusinen ­ die Warholas ­ leben noch immer dort. Und die reden dann über ihren „Andrejku": „Wir wußten schon immer, daß er ein Maler ist, nur nicht, ob er Zimmer oder Häuser anstreicht oder ob er Bilder malt." Erst Ende der achtziger Jahre erfuhren sie vom Ruhm ihres Verwandten und stellten fest, daß er der wohl bedeutendste Ruthene sein mußte ­ berühmter noch als Vasil Bilak, seinerzeit Chef des tschechoslowakischen Geheimdienstes. Eine Tante findet angesichts einer Fotografie von Warhol: „Er sieht aus wie ein Affe." Ihr Sohn bestätigt: „Genau... so wie ich."

Mucha gelingt es, einerseits den Gegensatz zwischen dem artifiziellen Konstrukt des Lebens der Pop-Ikone und der davon völlig verschiedenen Wirklichkeit seiner ruthenischen Verwandtschaft darzustellen, andererseits, wie es der Warhola-Sippe mittels der Imagination eines ganz eigenen Warhol-Bildes gelingt, sich einer Welt zugehörig zu fühlen, die nicht die ihre ist, und die ihr Leben trotz Armut und Arbeitslosigkeit „mit gesundem Phlegma und heiterer Gelassenheit zu meistern" versteht.

Auch der filmische Rundgang durchs „einzige Warhol-Museum Europas" in der nahe Mikova gelegenen Kreisstadt Medzilaborce paßt in den Kontext von Muchas Idee der Gegenüberstellung des Unvereinbaren, des Unverständnisses der Ruthenen gegenüber der Welt des Pop-Artisten und ihrer fröhlichen Vereinnahmung des scheinbar nicht Vereinnehmbaren: Das Museum ist in einem fensterlosen Trumm erlesenster sozialistischer Baukunst untergebracht, in das es alleweil hineinregnet, davor wurden zwei überdimensionale „Campbell's"-Suppendosen auf-gestellt. Der Kurator tritt auf wie ein Schmierenkomödiant: Neben dem Warhol-Bild „Absolut Wodka" stehend, referiert er darüber, man habe bevorzugt solche Werke des Künstlers gekauft, die einen Bezug zur Gegend hätten. So weit, so gut.

Das Problem des Films ist seine Länge: Spätestens nach sechzig Minuten ist endgültig klar, was Mucha sagen wollte, was Warhol und die Warholas alles nicht vereint, die Idee hat sich totgelaufen. Der Film jedoch macht weiter, zwanzig lange Minuten (er wäre sonst wohl nicht in die Kinos gekommen). Mucha hätte, um diesen Overkill zu rechtfertigen, von seiner ursprünglichen Idee absehen, seine Interviewpartner ernster nehmen müssen und sie jenseits einer oberflächlichen Befragung und des obligatorischen Besäufnisses begleiten sollen: auf daß sie tatsächlich von sich redeten. Er hat dies nicht getan. Also verliert sich der Film gegen Ende in Wiederholungen, in Langeweile. Das ist schade. Denn eigentlich: Die Grundidee des Films ist gut. Und sechzig Minuten trägt sie.

Roland Abbiate

„Absolut Warhola", Deutschland 2001, Regie: Stanislaw Mucha, läuft seit dem 1. November in den Berliner Kinos

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