Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Nicht gehörte Töne hörbar machen

Das Total Music Meeting öffnet die Sinne zu einer Wahrnehmung des Anderen

Anfang November, wenn die Tage kürzer und grauer werden, gibt es mit dem Total Music Meeting eine erfrischende Möglichkeit, den drohenden Winterblues noch etwas aufzuhalten. Während dreier Tage mit 15 Konzerten spielten im Podewil improvisierende Musiker und Musikerinnen in der Tradition eines Festivals, das vor mehr als 30 Jahren aus Unzufriedenheit über die Berliner Jazztage entstanden war. Sicherlich nicht unbeeinflußt von der allgemeinen Proteststimmung des Jahres 1968 hatten MusikerInnen zur Selbsthilfe gegriffen und ein Festival auf die Beine gestellt, welches – im Gegensatz zu den konventionellen und betulichen Jazztagen – Raum bot für improvisierte Musik, die damals vor allem als Free Jazz die Hörgewohnheiten eines bürgerlichen Jazzpublikums schockierte. Im Laufe der Jahre hat sich dieses Festival unter dem Namen Total Music Meeting als wichtiger Treffpunkt der internationalen Szene improvisierender MusikerInnen etabliert, nicht zuletzt dank der Verbindung zu Free Music Production, einem LP/CD-Label, das in hervorragender Weise innovative Künstlerinnen und Künstler dabei unterstützt, ihrer Musik Gehör zu verschaffen.

Für das Festival-Programm verantwortlich zeichneten Helma Schleif von Free Music Production sowie die Musiker Wolfgang Fuchs und Alexander von Schlippenbach, die die einzelnen Konzerte als Wechselspiele zwischen „Master Series" und „Young European Improvisors" präsentierten. Dies betonte, bei aller Verschiedenartigkeit der einzelnen Beiträge, die Kontinuität in der Auseinandersetzung mit freier, improvisierter Musik und gleichzeitig eine Mischung aus international anerkannten und bisher noch als Geheimtip gehandelten KünstlerInnen. Quer dazu verlief ein anderer Strang, konnte das Programm auch als spannender Austausch zwischen den in Berlin lebenden MusikerInnen und ihren international beheimateten KollegInnen verstanden werden. Leider scheinen auch in der improvisierten Musik Künstlerinnen eher selten zu sein, besonders schade, daß zwar mit Aki Takase und Françoise Kubler zwei herausragende „Meisterinnen" vertreten waren, bei den „Young European Improvisors" jedoch die Männer unter sich blieben.

In seiner Gesamtheit brachte das Festival deutlich zum Ausdruck, wie groß der Spielraum ist, in dem sich die improvisierte Musik im Moment bewegt, und wie unterschiedlich die Positionen sind, von denen aus an einer künstlerischen Fortentwicklung gearbeitet wird. Das betrifft die unterschiedlichen Traditionen, auf die Bezug genommen wird, im Bereich sowohl des Jazz als auch der Neuen Musik, genauso wie den unterschiedlichen Umgang mit dem Improvisieren selbst, das ganz frei, aber auch begleitet von festen Strukturen oder komponierten Teilen sein kann.

Außer bei George Lewis, der mit seinem Projekt Voyager zu Gast war (und darüber auch in einem Vortrag sprach), dominierte bei den übrigen MusikerInnen die akustische Musik. Lewis bezieht eine Computermusik-Komposition als eine Art Orchester ein, mit dem die einzelnen MusikerInnen dann improvisierend kommunizieren. Mit seinem Auftaktkonzert mit der Pianistin Aki Takase und seinem Schlußkonzert mit verschiedenen Musikern des Festivals setzte Lewis markante Eckpunkte.

Mit Zentralquartett war eine Gruppe vertreten, deren Wurzeln in der DDR liegen und deren Musiker schon seit den siebziger Jahren international anerkannt sind. Ähnlich hintersinnig wie der Name ist auch ihre Musik, die einen sehr ironischen Umgang mit der Jazztradition pflegt. Gerade im Bereich des Free Jazz gab es in Berlin schon seit den siebziger Jahren eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Musikern aus Ost- und Westteil, war eine kreative Verständigung trotz der verschiedenen politischen Systeme möglich, vielleicht auch, weil die Bedingungen für avancierte improvisierte Musik hier wie da nicht die besten waren.

Ganz reduziert trat das italienische Duo Braida (Piano)/Locatelli (Klarinette) in Aktion. Ihre Improvisation vermittelte den Eindruck einer konzentrierten Suche nach den Tönen, in der auch die nicht gespielten, also die, auf die bewußt verzichtet wurde, mitschwangen. Sven-Åke Johansson war mit seiner Performance der visuell sicher überzeugendste ­ und Kunst wurde in seinen Gurkenstücken zum Leben erweckt, indem zwei grüne Gurken zu Schlagzeugstöcken mutierten und diese am Becken in Stücke geschnitten wurden.

Höhepunkte bildeten die beiden Auftritte von Françoise Kubler (Sopran) ­ einmal im Duo mit Armand Angster (Kontrabaßklarinette) und einmal mit diesem zusammen und Wolfgang Fuchs (Kontrabaßklarinette) sowie Paul Lovens (Schlagzeug) beim Kontrabaßklarinetten-Projekt ­ die ihre Stimme sehr kontrolliert gegen die Instrumente zum Einsatz brachte, wobei Sopran und Kontrabaßklarinette ihre Gegensätzlichkeit von Höhe und Tiefe spannungsreich zwischen improvisierter und klassischer Musik, bisweilen mit sakralen Bezügen, entwickelten.

Auch wenn die Beziehung zwischen Total Music Meeting und Jazzfest inzwischen entspannter ist als vor 30 Jahren, wird an vielen Dingen der unterschiedliche Charakter deutlich, den diese zwei Festivals besitzen. Statt von einem künstlerischen Leiter und seinem persönlichen Geschmack wird hier das Programm von einer Gruppe gemacht, und das heißt natürlich auch Auseinandersetzung mit künstlerischen Positionen und Diskussion darüber. Und während beim Jazzfest der Name und die Bekanntheit von KünstlerInnen häufig vor ihre Musik tritt, ist beim TMM der Blickwinkel radikal auf diese selbst eingestellt, da bleibt kein Platz für Starkult oder Shows. In letzter Zeit sind die Grenzen zum Jazzfest hin durchlässiger geworden, doch das bedeutet natürlich nicht, daß das TMM damit überflüssig wäre. Womit ein weiterer Unterschied benannt wäre. Während auch das diesjährige Jazzfest mit hohen Beträgen subventioniert wurde, hatte der Senat die paar Märker für das TMM Anfang des Jahres erst mal ganz gestrichen, im Juli (!) aber doch noch etwas herausgerückt, allerdings nur ein Drittel der ohnehin schon niedrig angesetzten Summe. Daß das Total Music Meeting trotzdem zustande kam, ist nicht zuletzt dem unermüdlichen Engagement der OrganisatorInnen zu verdanken, aber auch Ausdruck für den Willen der beteiligten MusikerInnen, sich dieses Festival, das einen intensiven Austausch untereinander und mit dem Publikum ermöglicht, nicht einfach wegkürzen zu lassen. Nächstes Jahr wird dann vielleicht sowieso alles ganz anders. Denn mit der Berufung des Chicagoer Musikjournalisten John Corbett zum Leiter des nächsten Jazzfestes und dessen Begeisterung für gerade die Art von Musik, die Free Music Production produziert, könnte es durchaus sein, daß dann mal der Mainstream und Easy Listening Jazz sich eine neue Bleibe suchen muß, was der künstlerischen Qualität nur zuträglich sein könnte.

Carola Köhler

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