Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Galerienlandschaft Wedding?

Ein Suchversuch

Gut, es gibt sie. Zwar nicht en masse, aber hier und da: Galerien im Wedding. Auf der Suche nach ebensolchen wird sicherlich niemand auch nur annähernd in einen Galerienchaosmos à la Mitte gestürzt, doch wo man sich im établierten Galerienbezirk innen und außen auf seiner Kunstsuche gut aufgehoben und sicherlich auch gut geschoben fühlt, da wird einem im Wedding doch etwas anders zumute. Möchte man sagen, man fühlt sich verloren? Kein Galerienrundgang weit und breit? Well then: das rauhe Kunstleben im Wedding hat sich einem in den Weg gestellt. Oder besser: hat es unterlassen.

Nein, man wird sie eben nicht finden: eine Galerienstraße, geschweige denn -route. Die muß man sich schon selber machen: Das kann auch ein Vorteil am Wedding sein.

Ich mache also: die Galerienkoordinate Lindower – Fehmarner Straße. Die Galerien könnten schwerlich gege-nsätzlicher sein, doch der Bezirk vereint. Zwischen Müllerstraße, der Verlängerung der Chauseestraße, und dem Nettelbeckplatz liegt die Lindower Straße. Am Horizont die Hochhaustürme der Schering AG, neben Dönerimbiß und Abschleppdienst traut man seinen Augen kaum: Der white cube des KunstRaums Berlin ragt vor einem auf. Drei große Rundbogenfenster geben den Blick frei auf einen hellerleuchteten Ausstellungsraum, in dem derzeit die Künstler und Künstlerinnen des Förderkreises ausstellen: groß- bis kleinformatige Malereien, Mischtechniken, viel Farbe, Öl, Tempera, Acryl, eine „Frau sich drehend" neben „Zauberstäben", achtmal ein „o. T.".

Lina Schneider leitet den KunstRaum seit 1994. Ursprünglich entstanden aus einer Kooperation zwischen dem Kunstverein der Schering AG und der VHS Wedding, ist er seit der Bezirksfusion eine Einrichtung des Kulturamts Mitte. Die Zusammenarbeit mit dem Schering-Kunstverein ist weiterhin prägend, zweimal im Jahr bespielt dieser die Galerie. Zuletzt im August 2001 mit den Funktionslandschaften von Nadine Rennert, die Kunstrasen als konstruktive Spiel- und Fühlelemente mit Gartengestus in der Galerie ausbreitete. Ansonsten konzipiert Lina Schneider die Ausstellungen mit Künstlern des Förderkreises oder aus den eingehenden Bewerbungen. Weddinger Künstler sollen dabei genauso eine Chance haben wie Leute und Institutionen aus der ganzen Republik: An einem KunstRaum-Netzwerk mit anderen Städten wird gearbeitet. Geschmäcklerische Ausstellungskonzeptionen sollen vermieden werden, die Vielfalt macht´s, nicht zuletzt mit Hilfe von Lesungen, Konzerten, Performances oder auch semi-öffentlichen Spaghetti-Essen. Doch im Gegensatz zu anderen Ausstellungstrends kocht hier dann nicht der Künstler, sondern die Galerieleiterin höchstpersönlich. That`s how it works. Mehr dazu unter: www.kunstraum-berlin.de.

Schnitt:Gegenüber den Thyssen-Werken, westlich des Nordhafens am Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal, am Rande des Wedding, zweigt die Feh-marner Straße ab. Zu meiner Koordinatenkonstruktion:Fährt man die Lindower Straße immer geradeaus Richtung Südwesten, prallt man förmlich auf dieses sogenannte Nordufer, und landet alsbald eben in jener Straße. Und wenn man dann nicht direkt bei Nr. 22 durch den Toreingang ins Vorderhaus marschiert, um fünf Minuten vor der Hintertür der Galerie zu stehen und um sich dann per Handy wieder auf die Straße dirigieren zu lassen, ja dann kann man auch direkt vor den schönen blauen Ladenfenstern der Milchmeergalerie ankommen. Dann stellt man davor sein Rad ab, geht hinein und ist im Märchenland. Dann ist man in einer Produzentengalerie strengster Radikalität: Räume wie sie dekorierter nicht mehr sein könnten, die einen mindestens in Tiefseeträume aus Kindergartentagen zu stürzen vermögen, stellen das Zentrum einer losen Gruppe Weddinger Künstler dar, die sich alle dem Leben mit brotloser Kunst bzw. Kunsthandwerk verpflichtet haben. Seit 1996 offiziell privates Atelier und Galerie, zeichnen Christine Hirke und Michael Lewinski für diese Räumlichkeit verantwortlich. An jedem 1. und 3. Wochenende im Monat findet hier die „ArtOrta" statt, Künstler der Gruppe stellen turnusmäßig aus, machen Party und harren dem, was/wer da kommen möge. Als Sonderfall im Kiez, im wahrsten Sinne des Wortes, hofft die Milchmeergalerie jetzt auf Unterstützung vom Quartiersmanagement. Weitermachen wollen sie, Wedding ist ihr Ding, und Lina Schneider lädt sie zur KunstRaum-Party mit St. Petersburger Blaskapelle ein. Wer hätte das gedacht: also tatsächlich eine Kunstkoordinate im Arbeiterbezirk.

Da fällt mir nur der Titel einer 1998er Ausstellung von Max Frazee im KunstRaum ein: „Racecar spelled backwards is Racecar". Und wer hätte das gedacht?

Tina Kaiser

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 11 - 2001