Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Einfache Verhältnisse?

Aus der halboffnen Tür der Aussegnungshalle die Stimme des Pfarrers. Hinten ist alles besetzt, vorn nur die Söhne, Axel, Siggi, Franz. Hab Axel seit 15 Jahren nicht gesehen, sieben davon war er im Knast, dabei ist er der einzige in der Familie, der was gelernt hat: Gipser, Betonbauer. Ein Gesteck, ein Kranz mit Schleife, die Namen der Söhne darauf, auf einer Blumensäule die Urne. Daß Lore ein hartes Leben gehabt habe, und daß die letzten vier Jahre glückliche Jahre gewesen seien. Hilfsbereit und fröhlich, beliebt auf der ganzen Station. Pfarrer betet vor, Gemeinde murmelt Amen. Eine Elektro-Orgel brummt und leiert, sie paßt zum Ende dieses armen trostlosen Lebens wie der Arsch auf den Eimer.

Aufs Stichwort kommt der Sargträger, ganz in Schwarz, sonst sind sie ja immer zu sechst, aber für das bißchen Salz und Kohlenstoff braucht es nur einen Mann. Ganz in Schwarz kommt er aufs Stichwort, schwarze Dienstbotenmütze, nimmt die Urne und schreitet aus der Halle voraus. Vielleicht vierzig Leute hinterher, vorn der Pfarrer, die Söhne. Der älteste, der dicke Franz, selbst von Geburt geistig behindert, „ich hab ein Herz im Loch" sagte er, wenn wir Kinder uns über sein Stottern lustig machten, nie sagte er: „ich stottere, weil ich nach jeder Silbe den Faustschlag vom Vater erwarte". Franz, der in der Lebenshilfe arbeiten durfte; Franz, das Sorgenkind von der Aktion Sorgenkind.

Er trägt eine billige Basecap, dünner schwarzer Stoff, schwarzer Plastikschirm, hinten hängt das weiße Waschzettelchen heraus, unter der Mütze grauschwarze Haare, grauschwarzer ausgefranster Schnauz, Stoppelkinn, Stoppelhals, schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarz, schwarz, schwarz. Siggi, der Taugenichts, unrasiert, eingedelltes, konkaves Gesicht, grauer Pulli mit schwarzen Rauten. Axel ganz schwarz, mit hohem Kopf, hohen Ohren, die blonden Haare drumherum breit ausrasiert, HJ-Frisur, aufrecht und steif. Ein Dutzend Menschen, die ich nicht kenne, nicht einzuordnen weiß, jeder eine weiße Rose in der Hand, eine zieht das Bein nach, ein anderer nickt sinnlos mit dem Kopf, manche weinen, manche tuscheln und gickeln. Die Leute von Lores Station, Verrückte.

Am andern Ende des Friedhofs, bei der Mauer, ein Loch in der Erde, der Diener läßt die Urne hinunter, geht weg. Ein Grabstein, darunter liegt schon der Mann und der Vater. Er starb vor vier Jahren: tobte, reiner Jähzorn, rang nach Luft, Herzinfarkt, der wievielte eigentlich. Der Grabstein ist aus Beton gegossen, mit Fassadenfarbe geweißt.

Der Pfarrer redet wieder, das meiste geht im Verkehrslärm unter, hinter der Friedhofsmauer führt die Bundesstraße vorbei. Er betet vor, Gemeinde murmelt Amen. Vaterunser, der Du bist im Himmel, ich bete nicht mit, es wäre gelogen, und ich würde die Zeilen verwechseln, wie kann man diese Gebete vergessen, ich hab nur noch die Melodie, Soundfetzen ganz hinten im Hirn. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Amen. Der Rosenkranz, die Du gebenedeit bist unter den Weibern. Amen. Und noch ein Hieb aus dem Weihwassersprenkler.

Der Pfarrer tritt zur Seite, was geschieht jetzt, keiner weiß es, Ratlosigkeit, ein Wink, Geflüster. Franz, der Älteste, geht die paar Schritte, schüttelt den Weihwasserstock, bleibt kurz stehen, geht rückwärts wieder weg. Siggi, der Mittlere, geht an das Loch, dirigiert und spritzt das Weihwasser übers ganze Grab. Axel sprenkelt, steht bolzengerade, die Tränen tropfen von der großen Nase, zwanzig Sekunden Andacht; bemüht, nichts falsch zu machen in diesem Ritual, und nicht mal jetzt ist er bei sich, bei seinem Schmerz, bei seinen Erinnerungen.

Ein leises Surren in der Ferne. Ein Elektrokarren, darauf sitzt der Sargträger, jetzt in grüner Gärtnerlatzhose. Er fährt den Kranz und das Gesteck von der Kapelle zum Grab.

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 11 - 2001