Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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„Ich halte Opposition an vielen Stellen für den verantwortungsvolleren Job

Ein Gespräch mit Freke Over, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der PDS

Du trittst jetzt das dritte Mal zur Abgeordnetenhauswahl an. Was war deine ursprüngliche Motivation, als ehemaliger Hausbesetzer in die Politik zu gehen?

Um Verkehrspolitik zu machen und Veränderungen in dieser Stadt herbeizuführen, und wenn du fragst, warum als ehemaliger Hausbesetzer, so habe ich mich in den ersten Jahren ja auch sehr stark um das Thema gekümmert. Die Frage der besetzten Häuser hat Herr Schönbohm auf bekannte Weise beendet, deshalb war das kein Thema mehr. Es gab auch keine größeren Versuche, das wieder zu ändern von Seiten der Wohnungssuchenden. Wir haben inzwischen eine andere Situation, was den Wohnungsmarkt betrifft: Es gibt viel Leerstand. Im billigen Bereich allerdings nur wenig, aber offensichtlich nicht so wenig, daß wieder der Druck da wäre für eine neue Besetzungswelle.

Du bist auch an der AG Kiezentwicklung beteiligt. Was ist das und was macht Ihr?

Die AG Kiezentwicklung ist der Zusammenschluß von Projekten hier am Boxhagener Platz, um gemeinsam Lobbyarbeit zu machen und sich so gegenüber den großen Trägern, die normalerweise die Mittel komplett abgreifen, durchzusetzen. Wir haben uns stark mit dem Quartiersmanagement auseinandergesetzt. Hier war ja das einzige Gebiet, wo es eine heftige Auseinandersetzung gab zwischen existierenden Vereinen, Trägern und Initiativen, die diese Arbeit schon seit Jahren machen und dem neu dazugekommenen Quartiersmanagement.

Gibt es Überschneidungen mit deiner Arbeit als Abgeordneter?

Gerade das Thema Quartiersmanagement habe ich auch da bearbeitet, mit kleinen Anfragen und Anträgen, in denen versucht habe, mehr Transparenz reinzubekommen. Die Senatsverwaltung ist da ausgesprochen bockig. SPD und Strieder haben es geschafft, das Thema ein Jahr lang aus dem Ausschuß rauszuhalten, außer im Frageteil.

Was unterscheidet die stadtentwicklungspolitischen Vorstellungen der PDS grundsätzlich von denen der großen Koalition?

Vor allem durch Stimmann ist ganz stark dieses Planwerk Innenstadt gepusht worden und die ganze Innenstadtentwicklung. Uns geht es darum, daß auch die Kieze drumherum lebenswert sind, daß dort Sanierung vorangeht. Aber auch in einer Art und Weise, daß die Bewohnerstuktur dort erhalten bleibt. Wir haben jetzt eine Untersuchung machen lassen über die Sanierungsgebiete Samariterviertel und Warschauer Straße. Da sieht man, daß vier Jahre nach Sanierung in diesen Gebieten nur noch die Leute leben, die entweder gut verdienen oder staatlich alimentiert werden. Menschen mit geringem Einkommen werden eben doch über die stark steigenden Mieten vertrieben.

Katrin Lompscher erklärte in einem Gespräch mit dem scheinschlag Stimmann zur Koalitionsfrage. Ist das wirklich mehrheitsfähig in der PDS?

Stimmann ist nicht satisfactionfähig für eine rot-rote Koalition. Da ist man sich ziemlich einig. An dem Herrn haben wir uns ja auch die letzten Jahre abgearbeitet. Ob es nun Unter den Linden/Ecke Friedrichsstraße ist, wo er unbedingt den Block wieder schließen will, mit einem entsprechenden Neubau, ob es die Frage Tränenpalast und Reinhardt-Erben-Grundstück daneben ist. All diese Fragen, wo Stimmann seine ästhetischen Empfindungen versucht der Stadt aufzudrücken, das ist eine Form von Politik, die mit uns so nicht zu machen ist.

Was werdet ihr als Regierungspartei anders machen?

Das Land Berlin kann sich zum Beispiel die Wohnungsbauförderung in der heutigen Form nicht mehr leisten und wir sind der Meinung, daß das Umsteuern des Senats hin zu Privateigentum in dieser Art und Weise falsch war. Es ging ja vor allen Dingen darum, die Förderung zu den Einfamilienhäusern hin zu verschieben, zu Leuten, die es nur sehr bedingt nötig haben, geförderten Wohnraum zu bekommen. Wir haben ganz stark für die Genossenschaftsförderung gekämpft und da schon ein paar Erfolge unter der großen Koalition gehabt mit der neuen Genossenschaftsrichtlinie. Das ist sicher ein Weg, den wir weitergehen wollen. Es geht um die Konsolidierung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die ja teilweise kurz vor dem Konkurs stehen. Dort haben wir ein Holding-Modell vorgeschlagen, um sie nicht zu privatisieren, sondern einen Finanzausgleich unter den Gesellschaften hinzubekommen. Darüber hinaus wollen wir eine Privatisierung von Häusern an Genossenschaften, um sie als Gemeinschaftseigentum zu erhalten, was natürlich ein ganz anderer Ansatz ist, als wenn man sie an Hamburger Spekulanten verhökert, wie das zur Zeit ja meistens der Fall ist. Das ist ein Punkt, der für uns ganz entscheidend ist, daß es hier ein Umdenken gibt und die Wohnungsbaugesellschaften nicht als letzte Reserve der Berliner Landeskasse gesehen werden.

Damit würde sich der Senat aus der Verantwortung für die Bereitstellung von billigem Wohnraum zurückziehen.

Man würde einen Teil der jetzt noch städtischen Wohnungen privatisieren an Genossenschaften, für diesen Teil ist der Senat dann nicht mehr verantwortlich. Aber ich denke, es muß darum gehen, den billigen Wohnraum zu vernünftigen Konditionen zu erhalten und da sind für mich Genossenschaften manchmal sogar die bessere Lösung als städtische Wohnungsbaugesellschaften, wo sehr viel Reibungsverluste in der Verwaltung auftreten. Ich glaube, daß es sinnvoll ist, in kleinere Einheiten zu gehen, also nicht Genossenschaften mit tausenden von Wohnngen, sondern Größenordnungen, wo man sich kennt.

Hast du schon mal daran gedacht, daß die PDS in der Regierung eine ähnliche Entwicklung einschlagen könnte wie die Grünen?

Das Risiko ist nicht von der Hand zu weisen, da wird man schwer gegenhalten müssen. Ansonsten warten wir mal den 21. Oktober ab. Ich halte ja Opposition an vielen Stellen für den im parlamentarischen Sinne verantwortungsvolleren und wichtigeren Job. Die Regierungsfraktionen setzen meistens nur das um, was vom Senat und auch von der Verwaltung kommt.

Wie würdest du persönlich damit umgehen, wenn es doch wieder Hausbesetzungen gibt und eine rot-rote Koalition Häuser räumen ließe?

Das ist so der größte anzunehmende Unfall. Da bist du nicht der erste, der danach fragt. Das ist natürlich ein ganz schwieriger Punkt. An der Stelle werde ich dann in Konflikt mit meinem eigenen Innensenator kommen, das ist wohl absehbar.

Interview: Dirk Rudolph

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