Ausgabe 10 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Zum Schweigen bringen, loswerden

Seit dem 11. September wird das Leben für Flüchtlinge hierzulande noch schwieriger

Eigentlich sollte der von Innenminister Otto Schily am 3. August vorgelegte Gesetzentwurf für ein Zuwanderungsgesetz schon vom Bundeskabinett abgesegnet und zum Bundestag weitergereicht worden sein. Er wird neue Regelungen zur Zuwanderung wie auch zum Asyl beinhalten. Mit diesem Entwurf hat sich Otto Schily in der CSU sicher mehr Freunde gemacht als bei den Grünen. Seit den Anschlägen in den USA ist das Verfahren für eine Weile auf Eis gelegt. Vor dem 11.9. haben wenigstens noch die Grünen Teile des Entwurfs abgelehnt. Wieviel Protest sie sich jetzt noch zutrauen ist fraglich, und ob der ins Gewicht fallen wird auch, da inzwischen nicht nur bei der CDU/CSU, sondern auch bei der SPD über eine nochmalige Verschärfung nachgedacht wird.

Senfo Tonkam von der African Refugees Association (ARA) über die vorgesehene Neuregelung: „Die große Veränderung ist, daß das Asylrecht einfach abgeschafft bleibt, mit behördlichen und juristischen Tricks. So z.B. die Beschleunigung des Asylverfahrens: Innerhalb eines Jahres muß alles vorbei sein. Vor Gericht wird später ein Widerruf der Entscheidung des Bundesamtes kaum mehr möglich, weil die Richter sich auf die Kontrolle des behördlichen Verfahrens begrenzen müssen. Sie werden von dem Protokoll und der Entscheidung des Bundesamtes abhängig sein. Innerhalb eines Jahres ist es unmöglich, daß alle Beweise, alle Unterlagen, die man für so ein Verfahren braucht, vorliegen, aber trotzdem muß bis dahin die Sache abgeschlossen sein."

Das Gesetzesvorhaben kollidiert an einigen Punkten mit bestehendem Völkerrecht: Es verwehrt weiterhin den Opfern nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung den in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Schutz. Das unterscheidet Schilys Entwurf im übrigen auch von der Praxis fast aller Mitgliedsstaaten der EU. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollen nach wie vor nicht den Schutz erhalten, den ihnen die UN-Kinderrechtskonvention einräumen würde. Gegen die Genfer Konvention verstößt ebenso die vorgesehene Regelung, daß exilpolitische Aktivitäten und eine daraus resultierende Rückkehrgefährdung nicht mehr zum Asyl führen sollen. Für politische Flüchtlinge würde es eine extreme Gefährdung bedeuten, wenn sie unter den Bedingungen auf die Situation und die Menschenrechtsverletzungen in ihren Heimatländern aufmerksam machen. Ein Dialog mit der hiesigen Öffentlichkeit, auch über die Rolle Deutschlands in den jeweiligen Ländern, wird damit unterbunden.

Ein gravierender Einschnitt ist die geplante Abschaffung der sogenannten „Duldung". Mit diesem Status leben in Deutschland ungefähr 270000 Flüchtlinge, weil in ihren Heimatländern Krieg herrscht oder andere Gründe ihre Abschiebung verhindern. Eine geringe Anzahl der Betroffenen soll zukünftig schneller eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Was für die Anderen vorgesehen ist, beschreibt Senfo Tonkam: „Im ganzen Bundesgebiet die Einrichtung von Ausreisepflichtigen-Sammeleinrichtungen. Da sind bestimmte Gruppen von Menschen eingesperrt, einquartiert unter sogenannter psychosozialer Betreuung. Die Einrichtungen dienen dazu, diese Leute einfach zum Schweigen zu bringen, unbeweglich zu machen, um sie dann auch leicht loswerden zu können." Die „Residenzpflicht" soll auf diesen Personenkreis ausgeweitet werden. Die Einweisung in eine solche Einrichtung wird voraussichtlich viele Betroffene dazu veranlassen, in die Illegalität abzutauchen. Nun ist eine „Duldung", die regelmäßig erneuert werden muß, kein erstrebenswerter Zustand, er wird es nur im Vergleich zu den Alternativen Abschiebung, Sammellager oder Abschiebeknast.

Das Gesetzesvorhaben sieht eine weitere Einschränkung finanzieller Leistungen vor. Bisher haben Asylsuchende drei Jahre lang um 30 Prozent geminderte Sozialhilfe bekommen, überwiegend in Form von Sachleistungen. Diese weit unter dem Existenzminimum liegenden Leistungen sollen nun unbefristet für die gesamte Dauer des Verfahrens festgeschrieben werden, fast immer verbunden mit dem Verbot, eine Arbeit anzunehmen.

Es ist offensichtlich, daß die Ereignisse in den USA das Leben von Flüchtlingen besonders beeinträchtigen. Zu den schlechten Lebensbedingungen, der üblichen Kriminalisierung und den rassistischen Angriffen gesellt sich jetzt noch der Verdacht des potentiellen Terroristen. Am 29.9., dem „Tag des Flüchtlings" fand in Berlin eine bundesweite Demonstration gegen die vorgesehenen Veränderungen im Asylrecht statt. Dazu aufgerufen hatten über 100 Verbände von Flüchtlingen aus ganz Deutschland. Schätzungsweise waren 3000 Leute dort, es wären wahrscheinlich mehr gewesen, wenn nicht die „Residenzpflicht" vielen Asylbewerbern verbieten würde, sich aus ihrem Landkreis herauszubewegen. Aus den Redebeiträgen wurde deutlich, daß sich die Flüchtlingsinitiativen seit dem 11.9. auf einen noch härteren Kampf einstellen.?

Juliane Westphal

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