Ausgabe 09 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Kultur als Wirtschaftsfaktor

Über den Sampler Hotel Stadt Berlin

Die Musikszene in Berlin boomt. Ein Grund zur Freude. Und trotzdem dreht sich dieses Interview nicht um den Umzug von Universal Music von Hamburg nach Berlin. In einer Art Netzwerk-Verschaltung haben sich verschiedene in Berlin ansässige Klein- und Kleinstlabels der elektronischen Art (ADSR, CCO, DIN, Hey Rec., Lux Nigra, Morr) zusammengetan, um gemeinsam eine Kompilation zu veröffentlichen, die sich wohltuend von sonstigen Berliner Einheits- und Selbstdarstellungsprojekten unterscheidet. An einem lauschigen Sommerabend fanden sich drei der Labelbetreiber, gleichzeitig die Kuratoren dieses Projektes zusammen, um Zusammenhänge und Ausschlüsse zu erläutern. Mit von der Partie waren: Thomas Morr von Morr Musik, Helmut Erler von Hey Rec. und Thaddeus Herrmann von City Centre Offices.

Hotel Stadt Berlin ist vor allem ein schöner Titel und unterscheidet sich auf angenehme Art von Veröffentlichungen mit Absolutheitsanspruch wie „Berlin macht Schule"...

Thomas Morr: Wenn wir eins nicht wollten, war es, diese Stadt erneut in irgendeiner Form zu labeln. Für mich war das eher eine Reaktion auf die großen Labels, die schon seit längerem versuchen, Berlin zu vermarkten.

Von außen wird Berlin häufig immer noch als die Technostadt wahrgenommen. Und das läßt sich ­ siehe Love Parade ­ nach wie vor auch prima vermarkten.

Thaddeus Herrmann: Deswegen ist auch wichtig, zwischen Love Parade und dem Rest des Jahres zu trennen. Berlin hatte schon immer ein wahnsinnig großes musikalisches Spektrum. Natürlich hat Berlin eine elektronische Reputation, aber es gibt einfach mehr als die immer gleichen Technolabels.

Thomas Morr: Ich denke, daß es inzwischen angkommen ist, daß hier viel mehr möglich ist, als der normale Dancefloorkram. Jede Stadt hat ihre Umfelder. In Berlin erklärt sich viel über die Infrastruktur: Plattenläden, die Importe anbieten, jede Menge Clubs, die an allen Ecken auf- und dann irgendwann auch wieder zumachen.

Worin unterscheidet sich dann das Konzept von Hotel Stadt Berlin von den Marketingkonzepten von Stadt und Musikindustrie?

Thomas Morr: Die Prämisse mit dem Hotelnamen war es, das Gasthafte in der Stadt zu fassen. Das bezieht sich nicht nur auf die unterschiedlichen Stile, sondern auch auf die konkrete räumliche Situation, denn viele Künstler kommen von außerhalb. Es ist ja nicht so, daß das ganze kreative Potential aus Berlin selbst heraus entstanden ist. Den Sampler sehen wir als ein Forum. Wir wollen nicht dieses Berliner Inzest-Ding, sondern eine Art Netzwerkstruktur, die länderübergreifend funktioniert, wobei die Basis der Labels schon Berlin ist. Und auch musikalisch stellen wir kein hermetisch geschlossenes System dar.

Hört man sich einmal durch die Hotelzimmer des Samplers, stellt man fest, daß Hotel von den unterschiedlichsten Bewohnern belegt ist: Da ist der 80er-Jahre-Sound von Skanform. Zerstückeltes, das nach verknoteter Laptop-Dreh-Klick-Reduktion klingt wie Kick Snare Kick Snare oder aber dubbig Chansonartiges von Hey und Hey-O-Hansen.

Helmut Erler: Das mit Hey ist schon kurios: Wenn wir auftreten, haben wir immer den Exotenbonus, und auch auf diesem Sampler nehmen wir ein wenig diese Rolle ein. Aber für mich fällt das genau unter die Offenheit hinter diesem Projekt. Und weil auf dieser CD so viel Unterschiedliches versammelt ist, gefällt sie mir auch am Besten, wenn der CD-Player im Zufallsmodus läuft ...

Interview: Marcus Peter

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