Ausgabe 09 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Väterlicher Freund kümmert sich

Quartiersmanagement am Boxhagener Platz ­ eine Erfolgsgeschichte

Das „Quartiersmanagement" in Berlin wird fortgeführt, läßt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung stolz verlauten. Vor drei Jahren wurde das Programm von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder eingeführt, um „abrutschende Quartiere" vor sozialer Verelendung, ergo Ghettobildung, zu bewahren. Basis dafür war ein im Auftrag des Senats vom Soziologen Hartmut Häußermann erstelltes und 1998 vorgelegtes Gutachten, das eben diese Tendenz für einige Berliner Gebiete diagnostizierte.

Im August diesen Jahres konstatierte Strieder nach Vorlage des Zwischenberichts zur Arbeit der Quartiersmanager befriedigt, daß das Quartiersmanagement (QM) „gut im Stadtteilleben angekommen" sei und „von den Bürgern gut angenommen" werde. Seine Überzeugung: „Die Ergebnisse können sich sehen lassen." Nach solchem Fazit kann also der „Supersenator" (Eigenbezeichnung) das Projekt guten Herzens um zwei Jahre verlängern.

Wie sieht nun die tatsächliche Erfolgsbilanz des Unternehmens aus? Die Geschichte des Quartiersmanagements Boxhagener Platz zeigt, daß zwischen Wunsch und Wirklichkeit doch eine Lücke klafft, auch wenn die Friedrichshainer mitunter froh sind, überhaupt Geld zu sehen. Denn in die Gebiete des Quartiersmanagements fließt eines immerhin reichlich: Geld.

Im Fall des Boxhagener Kiezes hat die Kombination einiger statistischer Daten wie Haushaltseinkommen, Fluk-tuationsquote in Wohnungen und Wegzug von Familien mit Kindern
zur Einstufung als „problematisches" Quartier geführt. Daß die Zahlen nicht unbedingt den Schluß auf ein abrutschendes Gebiet auf dem Weg zum Slum zulassen, ist offensichtlich niemandem aufgefallen. Denn am Boxhagener Platz sind die Zuziehenden mit niedrigem Einkommen vor allem Studenten, die zwar über wenig Geld verfügen, aber auch nicht wirklich als „abrutschend" einzustufen sind. Vielmehr werden sie von Stadtsoziolo-gen als „Pioniere" von Aufwertungsprozessen angesehen, wie sie in vielen West-Berliner Kiezen ­ wie dem Kreuzberger Maybachufer ­ bereits vor Jahrzehnten stattgefunden haben. Dort findet man heute keine brennenden Mülltonnen, ein Szenario, das nach Häußermann offenbar im Boxhagener Kiez vorauszusehen wäre. Wenn man nicht rechtzeitig eingreift.

„Empowerment" der Bewohner

„Aktivierung, Bewohnerbeteiligung, Empowerment". Das ist das Credo Häußermanns, mit dem griffig, wenn vielleicht auch etwas pleonastisch, der grundsätzliche Ansatz des QM beschrieben werden kann. Es geht darum, die Bewohner des Kiezes dazu anzuregen, ihr Schicksal und damit auch jenes des ganzen Gebiets selbst in die Hand zu nehmen. Es sollen sich selbst tragende Strukturen entstehen, die es auch benachteiligten Gruppen wie Arbeitslosen ermöglichen, ihre Wünsche zu artikulieren. Wobei eigentliches Ziel des Strieder-Programms die Vermarktung des „Quartiers" entsprechend der neoliberalen Logik des „Unternehmens Stadt" ist, das eben starke Marken schaffen muß.

Im Widerspruch zur statistischen Wahrscheinlichkeit verfügte das Gebiet rund um den Boxhagener Platz jedoch bereits über rund 60 verschiedene Initiativen, in denen viele Bewohner organisiert sind. Erreicht wurde mit der Einführung des Quartiersmanagements, daß sich ein beachtlicher Teil von ihnen, so z.B. der UBI-Mieterladen oder die Erwerbsloseninitiative Hängematten e.V., aktiviert fühlten, die Überflüssigkeit desselbigen immer wieder zu betonen.

Das 1999 eingesetzte Team des Quartiersmanagements brauchte dann ein dreiviertel Jahr, um in der Analyse der Stärken und Schwächen des Gebiets bereits vorher bekannte Banalitäten wie eine „Auffällige Verunreinigung durch Hundekot" oder „Verwahrlosung von Erdgeschoßzonen durch Gewerbeleerstand" festzustellen und im März 2000 ein Handlungskonzept zu beschließen.

Weder Verwaltung noch Initiative

Die meisten Projekte, die vom QM initiiert werden, funktionieren im klassischen Rahmen der Bürgerbeteiligung, das heißt Stellungnahme und Anhörung finden im Zustand bereits weit fortgeschrittener Planungen statt ­ vor allem im Bereich der Verkehrsberuhigung. Ein Überraschungsbonbon dieser Art ist die Beschaffung von Fördermitteln zum Umbau eines Teils der Gabriel-Max-Straße zur Spielstraße. Quartiersmanager Michael Stiefel meint, auf dieses Problem angesprochen, man könne ja „schlecht planen, bevor eine Finanzierung gesichert ist." Auf die Idee, daß die Bewohner vielleicht andere Prioritäten gehabt haben könnten, kommt er gar nicht. Man sei weder Verwaltung noch Bürgerinitiative, sondern etwas Intermediäres. Auf die Frage, was nun der Verhaltensunterschied seiner Institution zu einer Behörde sei, weiß er keine rechte Antwort.

Begründungen für Zustimmung oder Ablehnung von Projekten, die im Rahmen von Strieders „Quartiersmillion" gefördert werden, sind laut Auskunft von Herrn Schuppan, dem Juryvorsitzenden nicht veröffentlicht, „weil in der Satzung vorgesehen ist, daß man nicht öffentlich tagt". „Aber", fügt er hinzu, „dadurch, daß die Jury so bunt zusammengewürfelt ist, ist es praktisch unmöglich, mit Mauscheleien die erforderliche Zweidrittelmehrheit für ein Projekt zu bekommen." Das ist sicherlich richtig, das Management selber hat jedoch durch die Beratung der Jurymitglieder erheblichen Einfluß. Denn zehn von 18 Juroren sind aus dem Melderegister gelost und in rechtlichen Fragen nicht unbedingt bewandert.

„Mangelnde Transparenz" ist denn auch der Hauptvorwurf, den Heike Weingarten, engagiert im UBI Mieterladen e.V., an die Adresse des QM richtet. „Schließlich handelt es sich um öffentliche Gelder, die hier verteilt werden", ruft sie in Erinnerung, „und da sollte die Öffentlichkeit auch erfahren, nach welchen Kriterien dies geschieht."

Nicht wirklich effizient

Ein weiterer Vorwurf Heike Weingartens ist Steuerverschwendung. Während das Quartiersmanagement für seine Tätigkeit 300000 DM Vergütung jährlich erhält, standen im Aktionsfonds der ersten zwei Jahre jeweils nur 30000 DM zur Verfügung. Selbst wenn man die knapp 1,5 Mio. DM an beschafften Fördermitteln dazurechnet, ist die Effizienz nicht gerade traumhaft. Dieses Jahr mutierte der Aktionsfonds immerhin zur „Quartiersmillion", die ­ und da glänzt es schon nicht mehr so ­ allerdings für zwei Jahre reichen muß.

Das Geld, das konzentriert ins QM-Gebiet geht, fehlt dann natürlich an anderer Stelle. So zum Beispiel im Plattenbaugebiet um die Straße der Pariser Kommune ­ das wirklich Unterstützung bräuchte ­ angesichts der Bausubstanz in der Stadtentwicklungsverwaltung jedoch wohl als nicht aufwertbar abgeschrieben wurde.

Verdrängung? Nein, Interessenkonflikte!

Das Geld ist wohl auch das einzige, was viele Initiativen dazu bewogen hat, mit den Managern zusammenzuarbeiten ­ schließlich rückt kaum eine öffentliche Stelle noch etwas für Verkehrsberuhigung oder Vereinsräume heraus. Denn viele hegen grundsätzliche Bedenken gegen das vom Senat beschlossene Konzept, eine „gesunde" soziale Mischung herzustellen. Das Programm soll den Kiez für mittlere Einkommensschichten attraktiver machen, die „in Erwartung einer kurzfristigen Verbesserung der Infrastruktur und des Wohnumfeldes" zugezogen sind, wie es in der Potentialbewertung des Kiezes heißt. Dies bedeutet aber Verdrängung der unteren Einkommensschichten durch höhere Mietpreise etc. Solch häßliche Worte mag Quartiersmanagerin Frau Hausotter nicht hören. Sie drückt es lieber so aus: „Es gibt keinen Verdrängungsprozeß, es gibt nur Nutzungskonflikte." Wobei sie trotz harmloser Wortwahl sehr genau gute von schlechten Nutzern unterscheidet, gerade im Bezug auf den Boxhagener Platz. Erwerbs- und Obdachlose, die Bierdosen hinterlassen oder Hunde haben, gehören aus ihrer Sicht zu den weniger berechtigten Nutzern.

Interessenkonflikte anderer Art

Mag es bei Frau Hausotter noch Naivität sein, bei Geschäftsführer Tilo Tragsdorf, ehemaliger Friedrichshainer Wirtschaftsstadtrat, kann man bereits andere Interessen vermuten. Bis zum Jahr 2000 war Tragsdorf Geschäftsführer der Factor Grundstücks-entwicklungsgesellschaft, die zufällig im Gebiet des Boxhagener Platzes mehrere Häuser verwaltet. Vielleicht befürchtete er eine unzulässige Überschneidung von „Ämtern" und übertrug daher seiner Frau Andrea die Führung der Gesellschaft. Dies änderte jedoch nichts an merkwürdigen Geschäftspraktiken und -partnern. So verwaltet die Factor beispielsweise Häuser von Gijora Padovicz, der durch Kauf von Rückübertragungsansprüchen in Ost-Berlin in Besitz etlicher Wohnhäuser gelangte und durch rüde Entmietungen im Vorfeld von Luxus-sanierungen auf sich aufmerksam machte. Auch das Geschäftsgebaren der Factor selbst wirkt anstößig: Von einem Gewerbemieter in der Simon-Dach-Straße verlangte sie zum Beispiel eine höhere Miete, als im Sanierungsgebiet zulässig ist ­ und das rückwirkend für ein Jahr.

Gleichzeitig wurde im Rahmen des Quartiersmanagement pikanterweise eine Beratungsfirma für Gewerbemieter eingesetzt ­ zum Schutz vor fragwürdigen Praktiken der Hausbesitzer bei Sanierung: das Büro für Wirtschafts- und Projektplanung (BWP). Ihr Geschäftsführer wiederum ist Tilo Tragsdorf.

Man kommt nicht umhin, Supersenator Strieder recht zu geben: Das Quartiersmanagement ist „gut im Stadtteilleben angekommen". Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Man mag nun die Erfolge weiterer zwei Jahre Empowerment und Magement erwarten.

Nicolas Sustr

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