Ausgabe 09 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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editorial vom 16. september

Mit den verheerenden Anschlägen auf World Trade Center und Pentagon trat alles andere in den Hintergrund. Das Fernsehen zeigte in den ersten Tagen danach auf sämtlichen Kanälen beinahe vierundzwanzig Stunden täglich das Bild der einstürzenden Zwillingstürme. Die Aufnahmen der Staubwolke über Manhattan hinterließen den Eindruck, als läge die ganze Stadt in Schutt und Asche. Erst als man das Bild wirklich nicht mehr bringen konnte, wurde die Endlosschleife durch trauernde Angehörige, weinende Menschen oder Bergungsarbeiten aus New York abgelöst. Sämtliche Tageszeitungen druckten tagelang nur noch Sonderausgaben. Allerorten ist zu hören, die zivilisierte Welt sei angegriffen worden. Nichts sei nun mehr wie zuvor. Wir befänden uns quasi im Krieg. Die Angst, die sich seitdem breitgemacht hat, erweckt den Anschein, als sei tatsächlich schon Krieg.

Das Problem an der Flut von Bildern, des einstürzenden World Trade Center, von weinenden Menschen, und den Berichten über das Grauen ist nicht, daß sie falsch sind, sondern die dadurch provozierten Gefühle der Ohnmacht, der Wut und der Angst. Die Mehrzahl der Statements von Politikern baut auf dieses diffuse Gefühl der Bedrohung und beschwört die „Logik" dessen, was nun zu geschehen habe. Und das scheint bereits eine ausgemachte Sache zu sein, darüber gibt es bis dato keine richtige Diskussion: Die Rede ist nicht mehr bloß von einem Vergeltungsschlag, sondern von einem veritablen „Feldzug", sprich: von Krieg. Insofern ist die mediale Präsentation der Katastrophe und seiner Folgen, wie sie im Augenblick beinahe allgemein erfolgt, durchaus als Kriegspropaganda zu verstehen. Auch wenn das von manchem Journalisten gar nicht intendiert sein mag.

Indem der Anschlag als „Angriff auf die zivilisierte Welt" bezeichnet wird, erklärt man implizit den anderen Teil der Welt ­ sprich: die islamischen Länder ­ zu einer Zone jenseits der Zivilisation. Zu einem Teil der Welt, in dem Menschen leben, mit denen eine Verständigung ja ohnehin unmöglich ist, Barbaren eben. Die Emotionalität der Reaktion auf die Ereignisse in New York mag zur Akzeptanz von „Racheakten" und der Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen beitragen, bloß: Wem ist damit geholfen?

Derzeit sind die Schlagzeilen noch beherrscht von markigen Aussagen der Couleur, wir befänden uns bereits mitten im dritten Weltkrieg, während sich auf den hinteren Seiten einiger Zeitungen zögerlich die Erkenntnis durchzusetzen beginnt, daß mehr Besonnenheit vonnöten wäre. Wenn aber weiter so geschlagzeilt wird, dann wird der geistige Nährboden für einen Krieg geschaffen.

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  Ausgabe 09 - 2001