Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
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Das England in jedem von uns

Achim von Borries und sein nostalgischer Film

Der August kann sich an diesem Nachmittag nicht entscheiden, ob er nicht doch lieber ein April geworden wäre. Kaum hat das Gespräch vor einem Café in der Großen Hamburger Straße begonnen, müssen wir auch schon umziehen in den dunkleren Innenraum. Aber vielleicht paßt der auch besser zum Gesprächspartner. Achim von Borries heißt er und hat im letzten Jahr seinen Abschlußfilm England! an der DFFB gedreht. Seit seiner Premiere auf dem Münchner Filmfest ist einiges passiert. Regisseur, Hauptdarsteller und Film haben eine Menge Preise eingeheimst. Von Borries war in 15 Ländern, und der Film ist noch weiter herumgekommen.

Dabei erzählt er eine ganz unspektakuläre Geschichte von dem Ukrainer Iwan, dessen größter Traum es ist, nach England zu fahren, in der Hoffnung, daß dort alles besser würde. Iwan bleibt aber in Berlin hängen, findet neue Freunde und muß sich mit dem Tod seines Jugendkumpels abfinden, dessentwegen er überhaupt nach Berlin gekommen ist. Die Stadt spielt aber nur eine Nebenrolle. Es geht um jemanden auf der ewigen Suche, der das Leben auf Morgen verschiebt. Das ist universell verständlich.

Daß der Regisseur den Erfolg genießt, ist schon zu merken. Aber er spricht mittlerweile sehr reflektiert über seinen Film, denn „der ist seit einem Jahr fertig. Insofern habe ich gelernt, ihn einigermaßen realistisch zu sehen. Viele Leute honorieren wohl eine gewisse Ehrlichkeit und Emotionalität und haben nicht das Gefühl, daß ihnen was vorgemacht wird." Und wenn er das erzählt, ist etwas zwischen Verwunderung und Stolz im Unterton. Abgehoben ist er deswegen noch lange nicht, obwohl sich nach so vielen Festivals eine gewisse Routine im Beantworten von Journalistenfragen eingestellt hat. Ein wohlerzogener junger Mann, würde manche Oma sagen. Daß er während des ganzen Gesprächs beim korrekten Sie bleibt, unterstreicht das Ganze noch. Dabei wirkt der gerade mal 32jährige alles andere als steif mit seinen verwuschelten Haaren und dem froschgrün gestreiften Hemd unter einem leicht verknautschten hellgrauen Seidenjackett.

Achim von Borries wurde 1968 in München geboren und wuchs in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf ­ zunächst ohne Fernseher: „Eines der Lieblingsbücher meiner Mutter war Die Droge im Wohnzimmer, Neil Postman und so." Ein später angeschaffter Fernseher stand meistens auf dem Speicher: „Eine Sendung pro Woche war erlaubt, Kino aber möglich." Schon als kleiner Junge war er fasziniert von Filmen: „Wir hatten so ein Nonstop-Kino in München, das Cinema. Da konnte man für zwei Mark amerikanische oder japanische B-Movies sehen, Godzilla 10 oder Planet der Affen. Da habe ich mich mit Freunden immer reingeschlichen." So etwas prägt. Aber auch das Bürgerliche hat ihm nicht geschadet, sagt er, „zumindest um zu wissen, daß Dostojewskij gelebt hat, auch wenn ich ihn nie gelesen habe."

Foto: Mathias Königschulte

Von sich selbst behauptet er, ein Spätentwickler zu sein. Dabei wußte er schon früh, daß er Regisseur werden wollte: „Ich konnte ein bißchen Musik machen, ein bißchen schreiben, fotografieren und mit Leuten umgehen, aber nichts richtig gut. Und genau das ist beim Film gefragt." Gleich nach dem Abitur bewarb er sich an der Filmhochschule, wurde aber mit der Begründung abgelehnt, er sei zu jung und müsse erst mal was lernen. Dann der Versuch, auf direktem Weg, als Kameraassistent beim Fernsehen in Vorarlberg: „Hab da Wetterbilder gemacht und alles so´n Scheiß. Das war mir aber zu anstrengend." Also ging von Borries 1989 zum Studium nach Berlin: Geschichte, Politische Wissenschaften und Philosophie. Vier Jahre später dann die Aufnahme in der DFFB: „Da fühlt man sich dann als Regisseur und hat aber ehrlich gesagt noch keine Ahnung, wie man das macht. Man hat 'ne große Klappe und die Hosen voll."

Zu dieser Zeit begann auch ein allmählicher Wandel der früher als
Bastion des anspruchsvollen Autorenfilms bekannten DFFB. Man hatte ein offenes Ohr für seine Filmidee, die übrigens einen authentischen Hintergrund besitzt. Vorlage für die Hauptfigur ist ein Freund des Filmemachers, der immer nach England wollte, es bisher aber noch nicht dorthin geschafft hat, weil immer etwas dazwischenkam. Alleine das Schreiben hat dann ungefähr drei Jahre gedauert. So gesehen ist von Borries sogar ein Autorenfilmer.

Im Gespräch ist schnell zu merken, daß er eher ein Grübler ist. Vielleicht ein wenig melancholisch, verträumt, ehrlich, aber auch lustig und sympathisch. Noch. So wie der Film: „Ich wußte, wovon ich rede, wenn ich jemanden zeige, der viele seiner Wünsche auf ein fast unerreichbares Ziel projiziert. Dieses England gibt es für jeden Menschen. Der Iwan hat ja eigentlich keine Vorstellung von dem Land. Und es wird ihm dort auch nicht besser gehen. England ist eher eine vage Umschreibung für Ankommen oder Glücklichsein. Vielleicht war es das Anliegen, zu zeigen, wie jemand darum kämpft."

Und in gewisser Weise auch altmodisch im Sinne von nicht zeitgeistig. Mit Hipsein will Achim von Borries auch nichts zu tun haben: „Es ist viel wichtiger, eine Geschichte zu erzählen, als einem vermeintlichen Trend hinterherzulaufen. Wenn man so viel Geld zur Verfügung gestellt bekommt, muß man schon was zu sagen haben, auch wenn es unterhaltsam ist." Das spricht für ihn, auch, daß er Wörter wie Anliegen benutzt, obwohl er das gleich wieder als zu pathetisch abtut.

Aber noch einmal zurück zu England!, diesem schön nostalgischen Film, in dem Berlin nur eine, wenn auch reizvolle Nebenrolle spielt: „Ich wäre froh, wenn die Leute sagen würden, ich hätte einen russischen Midnight Cowboy gemacht. Das war ein Film, der mich sehr fasziniert hat und wo ich viele Ähnlichkeiten zu meiner Geschichte entdeckt habe. Ein naiver Held, der zum Scheitern verurteilt ist und den wir deswegen lieben."

Zum Ende des Gesprächs hat sich die Sonne durch die Wolken gekämpft. Aber wer glaubt schon an Omen?

Ingrid Beerbaum

„England!": Kinostart am 30. August

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