Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Bis zum Delirium tremens

Harald Juhnke, Hoffnung der Trinker

„Man säuft, um zu saufen."
(Harald Juhnke)

Die Alternative laute Leber oder Birne, so Harald Juhnke in seinem autobiographischen Buch Meine sieben Leben, Täglichtrinker oder Quartalssäufer. Er selbst habe irgendwann auf Quartalssäufer umgeschult, mit dem Ergebnis, daß ihm noch heute eine gesunde Leber attestiert werde. Also Birne: Von seinen letzten alkoholischen Abstürzen mußte sich der „deutsche Frank Sinatra" monatelang in der Baseler Universitätspsychiatrie erholen. Seit der Wodkaorgie vor einem Jahr in der Nähe von Wien ist es bedenklich still um den Schauspieler und Entertainer geworden. Zuerst hieß es, Juhnke sei wieder nach Basel gebracht worden, dann folgten Monate im Berliner Martin-Luther-Krankenhaus. Zwischendurch erreichte die B.Z.-Leser die erschreckende Nachricht, Familie Juhnke habe im Grunewald ein neues Domizil bezogen, um dem alkoholkranken Entertainer künftig das Treppensteigen zu ersparen. Das Schreckbild „Korsakow-Syndrom", von dem bei ihm 1997 erste Symptome diagnostiziert wurden, hat Juhnke in seinem Buch selbst beschrieben: „Kein rätselhaft genetischer, sondern eine Art selbstverschuldeter Alzheimer. Die Quittung für eine vergiftende Lebensführung bis zum Delirium tremens. Der Totenschein für einen denkenden Kopf."

Das Erstaunliche ist eigentlich, daß Harald Juhnke, 1929 im Wedding geboren, überhaupt noch am Leben ist – eine beeindruckend lange Alkohol-Karriere, gleichzeitig eine ebenso beeindruckende Karriere als Boulevardschauspieler, Fernsehunterhalter, Sänger, seit dem Ende der achtziger Jahre mit vielbeachteten Ausflügen ins sogenannte ernste Fach. Im Kudamm-Komödienmilieu der sechziger Jahre waren „zehn Klare" bei einem Kneipenbesuch obligatorisch. Irgendwann, nach seinem Gefängnisaufenthalt wegen „Trunkenheit am Steuer", muß dann die Umschulung zum Exzeßtrinker erfolgt sein. Jeder Absturz, jeder abgesagte Auftritt oder Dreh ergibt seither eine Schlagzeile in der Bild-Zeitung. Juhnke lebt in einer seltsamen Symbiose mit dem Boulevardjournalismus; man weiß, was man aneinander hat.

Daß der bekannteste Berliner ein Alkoholiker ist, kommt gewiß nicht von ungefähr. Es ist aber keineswegs so, daß Juhnkes Publikum dem Star die alkoholischen Eskapaden bloß irgendwie nachsieht, ihm trotzdem die Treue hält, wie er selbst glaubt und immer wieder versichert. Juhnkes Alkoholismus ist vielmehr die Grundlage seiner großen Popularität im gesamten deutschsprachigen Raum. Man muß nur eines seiner Konzerte besucht haben, um das zu begreifen. Als ein an Aufdringlichkeit kaum zu überbietender „running gag" ziehen Anspielungen auf des Entertainers Trunksucht sich durch den ganzen Abend. Das beginnt schon damit, daß Harald Juhnke sich für das Kommen seiner Zuhörer bedankt und gleich hinzufügt, er freue sich ganz besonders darüber, daß sie auch mit seinem Kommen gerechnet hätten. Beim letzten Staatsbesuch Jelzins, witzelt er, habe man ihn beigezogen, weil dem Russen niemand sonst alkoholisch gewachsen gewesen sei; und wenn er sein Publikum in die Pause entläßt, dann nicht ohne das Versprechen, in der Pause selbst nichts zu trinken. Zu Juhnkes festem Repertoire zählt das Lied vom Rum, der ihn nicht umhaut und die deutsche Version von „My way": „Was ich im Leben tat/das war bestimmt/nicht immer richtig". Es wird klar, daß sich das Publikum versammelt hat, um einen Säufer auf der Bühne zu sehen. „Der anhaltende, ja wachsende Erfolg scheint zu bestätigen, daß es möglich sein kann, mit Gewinn einen ruinösen Lebenswandel zu führen", so Theaterkritiker Rüdiger Schaper in seinem Juhnke-Buch: „Das Heer der anonymen Alkoholiker hat mit Juhnke einen prominenten Fürsprecher, Vorkoster, er ist ihre Entschuldigung, zuverlässig wie ein guter Freund." Eine bessere Projektionsfläche als „Harald" könnte es für die Deutschen, dieses Volk von Trinkern, auch gar nicht geben: Einer, der so über die Stränge schlägt, wie man es selbst gerne täte, sich aber nicht traut und trotzdem seit Jahrzehnten ein Star ist, sich immer wieder hochrappelt. Was aber, wenn Harald Juhnke sich jetzt tatsächlich um seinen Verstand gesoffen haben sollte, wenn seine sieben Leben unwiderruflich aufgebraucht sind?

Florian Neuner

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