Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Staatlich verbotener Kleinbürgerstolz

Ein kurzer Exkurs zur Droge Kaffee

Daß Kaffee und Tee zu den Drogen zählen (subsumiert unter dem Begriff Purindrogen) und daß sie wie viele andere Rauschmittel auch eine Verbotsgeschichte hinter sich haben, ist aus dem öffentlichen Bewußtsein fast völlig verschwunden. Im folgenden ein Auszug aus der von den Jungdemokraten herausgegebenen „Stoffkundebroschüre".

Kaffeepolizei und Kaffeepolitik

Wenn es eine klassische Drogengeschichte gibt, so ist es die der „vorindustriellen" Purindrogen. Mit rassistischen Stereotypen besetzt und Symbol bürgerlicher Weltläufigkeit, pseudowissenschaftlich verdammt und stilisiert als Allheilmittel, staatlich verboten und Kleinbürgerstolz. Allein in Preußen war der Kaffee im Laufe von zwei Jahrhunderten all dies. Kristallisationspunkt einer Öffentlichkeit neuen Typs, der bürgerlichen, wurde der Kaffee in Preußen allerdings kaum. Diese Ausnahme von vielen anderen europäischen Gegenden liegt begründet in einem zeitweilig recht strikt gehandhabten Kaffeeverbot im 18. Jahrhundert, mit dem einer negativen Außenhandelsbilanz entgegengewirkt werden sollte. Kombiniert wurde das Verbot (zu dessen Durchsetzung tatsächlich sogenannte „Kaffeeschnüffler" durch die Gassen zogen) mit einer Propaganda, die auf vermeintliche Gesundheitsschädigungen durch Kaffee sowie die Fremdartigkeit des noch relativ neuen Produkts setzte. Aber es nutzte alles nichts: Die Macht der Gewohnheit erwies sich als so stark, daß die Verbotsdurchsetzung bald als unrealistisch erachtet wurde.

Blitzkrieg, Kindergarten, Bohnenkaffee

Nicht zufällig gehört „Bohnenkaffee" zu jenen Worten, die die ganze Welt auf deutsch spricht: Es ist schlicht ein Pleonasmus, und als solcher überflüssig. Der Ausdruck entstand im Zusammenhang mit allgemeiner Armut und Kriegsökonomie, angesichts derer für viele der Kaffee über lange Zeiträume ein kaum erreichbares Luxusimportprodukt blieb. Sobald er aber einmal irgendwelchen Deutschen zur Verfügung stand, übten diese sich in einem merkwürdigen Dünkel gegenüber denjenigen, die auf billigen Kaffeersatz aus Zichorien u.ä., „Muckefuck" genannt, angewiesen waren. Zum Beweis dafür, daß man sich den echten leisten konnte, wurde der Kaffee oft so dünn aufgegossen, daß man das Blümchenmuster auf dem Tassenboden sah, denn der Zichorienkaffee war dafür zu trüb: Blümchenkaffee. Seitdem trinken Deutsche ihren Kaffee zu dünn, zum Beweis, daß sie ihn immerhin der Möglichkeit nach genießen könnten, da sie ihn ja besitzen.

Zum Kaffee ausgehen und zum Kaffee daheimbleiben

Ganz anders der Kaffeegebrauch zum Beispiel in Italien. Hier führten Espresso-Bars zur Öffnung des Kaffeekonsums für die proletarische Öffentlichkeit: Nicht ganz unvergleichbar dem Schnaps, den man schnell, an der Bar stehend kippen kann, da eine wünschenswerte Wirkstoffdosis in einer verhältnismäßig geringen Menge Flüssigkeit enthalten ist. Anders als der Schnaps kann der Espresso aber eben auch in der Arbeitspause genossen werden; eine Konsumform, mit der in Deutschland erst sehr spät, innerhalb der letzten zwanzig Jahre, begonnen wurde. Und der Kaffeeautomat im Betrieb, durch den sie sich hierzulande durchsetzen konnte, ist immer noch etwas anderes als das Thekenlokal mit Espressomaschine.

Nicht zuletzt in der Verbotsgeschichte dürfte begründet sein, daß sich in Deutschland der Kaffee eher als eine Art Genußmittel des engeren Privatbereiches, konsumiert jeweils beim Kaffeekränzchen, als Frühstückskaffee o.ä. durchsetzte.

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