Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Auch Hamburger gefährliche Drogen?

Selbst der Handel mit harmlosen Pflanzen ist reglementiert

Ein Gespräch mit Jörg Happe, Pflanzenexperte und Mitinhaber des Ladens „Elixier"

Ihr Laden heißt Elixier. Laut Katalog vertreiben Sie ethnobotanisch relevante Pflanzen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Das sind Pflanzen, die in verschiedenen Kulturkreisen traditionell zu rituellen Zwecken, als Rauschmittel oder Heilpflanzen verwendet werden. Wir stellen ein umfangreiches Repertoire solcher Pflanzen und Pflanzenteile zusammen und verkaufen sie an Menschen, die sich mit ihrer ethnologischen und spirituellen Bedeutung auseinandersetzen wollen. Wir führen Pflanzen, Samen, Räucherungen und Zubehör, Tees, Pflanzenelixiere und entsprechende Fachliteratur.

Verschiedene Pflanzen sollen mittlerweile verboten worden sein.

In den letzten Jahren gab es zwei für uns relevante Gesetzesnovellen. Die zehnte Novelle des Betäubungsmittelgesetzes von Februar '98 verbietet den Vertrieb von Pflanzen und Pflanzenteilen, die Stoffe beinhalten, die dem BtmG unterliegen ­ sofern sie mißbräuchlich verwendet werden sollen. Daraufhin mußten wir einen Teil unseres Repertoires einstellen, zum Beispiel meskalinhaltige San Pedro-Kakteen oder Peyotekakteen. Da wir auch eine umfassende Literatur über Eigenschaften und Gebrauch der Pflanzenteile anbieten ­ etwa über traditionelle Einnahmemethoden ­ könnte uns vorgeworfen werden, wir gäben die Pflanzen zu mißbräuchlichen Zwecken ab. Das ist paradox, denn böte man sie ohne Informationen an, wäre das legal, jedoch völlig verantwortungslos, da dies zu gefährlichen unwissenden Selbstversuchen geradezu herausfordern würde. Im Juli 2001 kam eine weitere Verschärfung hinzu. Es wurden zusätzlich Pflanzenteile verboten, die selbst noch keine Wirkstoffe enthalten, jedoch dazu verwendet werden können, entsprechende Pflanzen zu gewinnen ­ also Samen und Pilzsporen. Dabei nimmt etwa die Zucht eines Peyotekaktus zehn Jahre in Anspruch! Ein anderes Hindernis ist das Arzneimittelgesetz: Jeglicher Stoff, der eine Änderung des körperlichen und seelischen Zustands des Menschen bewirkt, ist demnach ein Arzneimittel und muß in der Apotheke verkauft werden oder zumindest als Arzneimittel hergestellt und gekennzeichnet sein. Dazu gehören übliche harmlose Pflanzen wie Ginseng, Gingko oder Passionsblume. So wird den Leuten der Zugang zu diesen Pflanzen, zu Genuß- sowie zu Heilzwecken bei leichten Beschwerden verwehrt. Es bleibt nur die Möglichkeit, in Apotheken teure Fertigprodukte zu kaufen, was der Pharmaindustrie Gewinne verschafft ­ während pflanzliche Zubereitungen für den Körper meist verträglicher sind. Das Arzneimittelgesetz wurde zwar nicht verschärft, jedoch wird es neuerdings verstärkt auf den Verkauf ethnobotanischer Stoffe angewandt. Gegen uns gibt es seit dreieinhalb Jahren ein solches Verfahren.

Das Arzneimittelgesetz definiert bestimmte pflanzliche Substanzen als Drogen. Was halten Sie vom Begriff Droge?

Alle Stoffe, die den seelischen oder körperlichen Zustand des Menschen verändern, gelten nach Arzneimittelgesetz als Droge. Diese Definition hinkt insofern, als jegliche Stoffe, die man sich zuführt, in irgendeiner Weise den seelischen oder körperlichen Zustand verändern. Selbst ein Hamburger von
McDonalds. Landläufig versteht man unter „Drogen" meist gefährliche Substanzen, die abhängig machen oder Psychosen verursachen. Ich selbst vermeide den Begriff, da er so mißverständlich ist und mit eben diesen Konnotationen verbunden ist. Eher würde ich von psychoaktiven Substanzen sprechen.

Was halten Sie von der Illegalisierung solcher Substanzen?

Die Verschärfungen der Verbote zeugen von einer enormen Angst davor, daß Menschen bewußtseinsverändernde Erfahrungen machen könnten. Die Verbote unterbinden indes nicht den Konsum, verunmöglichen aber einen kontrollierten und verantwortungsbewußten Umgang mit den Substanzen ­ deren falscher Gebrauch durchaus Gefahren birgt. Außerdem verhindern sie Reinheitskontrollen. Bekämen zum Beispiel Heroinkonsumenten ausschließlich reinen Stoff, wären sie zwar schwer abhängig, würden aber nicht an den Giften zugrundegehen, mit denen das Heroin gestreckt wird. Auch die Beschaffungskriminalität, die eine große Verelendung nach sich zieht, entsteht durch Illegalisierung.

Bestünde dagegen Entscheidungsfreiheit, was man seinem Organismus zuführt, eröffnete dies Chancen, umfassend über Gefahren, die im Umgang mit psychoaktiven Stoffen tatsächlich gegeben sind, aufzuklären ­ aber auch über die Erfahrungspotentiale. Spirituelle Erfahrungen etwa, die dazu beitragen können, sich über sich selbst bewußt zu werden. Es wäre möglich, den Umgang mit diesen Stoffen regelrecht zu lehren.

Dr. Albert Hoffmann, der Entdecker des LSD, zum Beispiel plädierte für einen sinnvollen Gebrauch im Rahmen einer Art Universität, eingebunden in ein soziologisches, philosophisches und ethnologisches Studium. Vorbild wären die sogenannten „Eloisynischen Mysterienschulen", in denen im antiken Griechenland mit bewußtseinserweiternden natürlichen Substanzen spirituell und wissenschaftlich gearbeitet wurde. Heute ist zu beobachten, daß die Leute die Rauscherfahrung suchen.
Die Jugend schmeißt bei Technopar-ties Ecstasy ­ „Initiationsriten" durch Rauschmittel sind ein offensichtliches Bedürfnis. Ein großer Teil der Gesellschaft berauscht sich mit Alkohol.
Bewußter Umgang mit Rauschmitteln wird kaum praktiziert, obwohl hier vieles möglich wäre. Das ist meiner Auffassung nach ein gesellschaftliches Versäumnis.

Interview: Tina Veihelmann

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 08 - 2001