Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ich versuche immer, das einfachste Bild zu finden

Ein Gespräch mit der Performance-Künstlerin Anja Ibsch

Du bist vor anderthalb Jahren nach Berlin gekommen. Haben sich da neue Chancen aufgetan?

Da waren zunächst komplett neue Fronten. Und die habe ich auch gesucht. In Köln war es einfacher, immer wurde geklatscht und gefeiert, die Szene verstand sich. Eine eher unkritische Art, die in der Natur des Rheinländers liegt. Das ist sehr gut als Basis, man spart Kräfte. Begonnen hat alles 1993 mit der „Ultimate Akademie" in Köln. Ohne große Hürden konnte man hier einfach mal was ausprobieren. Es gab z.B. Veranstaltungen wie 100 Performances à 1 Minute, jede Performance wurde durch einen Gong beendet, dann kam die nächste ­ organisatorisch ein Meisterstück. Das war die Fluxus-Tradition. Dann habe ich Boris Nieslony kennengelernt, der mir weitere Türen geöffnet hat. In Berlin ist es wesentlich anstrengender. Wenn ich hier mit Performancekunst komme, stößt das oft auf Ablehnung. Damit wird schnell Künstelei assoziiert, Verkünstelung. Das liegt in Berlin daran, daß sehr viele Veranstaltungen unter dem Namen Performance laufen, die damit nichts zu tun haben. Deswegen meide ich den Begriff häufig. Künstler allein ist schon Schimpfwort genug.

In Berlin sehe ich stark die Notwendigkeit, die Leute zu bündeln. Diese Netzwerkstruktur reizt mich, Berlin an die vorhandenen Knotenpunkte anzuschließen.

Zuvor hast du Stühle ausgestellt?

Das hatte mit meinem Architekturstudium zu tun und andererseits mit Fluxus, arte povera. Ich finde Dinge, zum Beispiel Stühle und mache damit etwas, gebe ihnen neues Leben. Ich versuche immer, das einfachste Bild zu finden, das ich mir vorstellen kann. Dann habe ich meine Phase „Blutbad" gehabt. Ich habe als technische Zeichnung Bäder gezeichnet und die soweit verändert, daß ein Design für ein Bad enstand, das aussieht, als ob dort mehrere Menschen abgestochen worden wären. Das war Aktionskunst, Verkaufsprozeß. Ich bin als Hosteß verkleidet rumgerannt und habe versucht, das zu verkaufen, hatte ein Mappe dazu.

Du hast erzählt, daß du dir in Notizbüchern einen Plan für die Performances skizzierst. Wie geht das vor sich?

Alles, was ich zum Thema finde, trage ich zusammen, abstrahiere, streiche zusammen, mache Zeichnungen. Eine richtige Choreographie mache ich nicht. Wenn ich das komplett plane, fällt ein Aspekt weg, der für mich wesentlich ist: Alles kann passieren, alles ist möglich.

Deine Asche-Performance hat mich beeindruckt, bei der du Asche auffegst und dann, in Wasser gelöst, trinkst.

„Die Einvernahme" – meine Reiseperformance. Die mache ich überall dort, wo ich das erste Mal bin. Ich trinke den bei der Veranstaltung anfallenden Staub und Dreck. Erstaunlich ist, daß darauf in der ganzen Welt völlig unterschiedliche Reaktionen kommen. In Tunesien zum Beispiel wollten die Leute die Polizei holen, das sei doch keine Kunst! Und die Journalisten fragten, ob mich nicht die Blumen und die Landschaft hier inspirierten. Sie fühlten sich beleidigt, ich empfände ihr Land als dreckig. In Italien sagten sie: Warum machst du keinen Trick draus, etwas Theatermäßiges? In Japan waren sie völlig entsetzt, in Thailand gab es sehr lustige, die mittrinken wollten.

Eine Performance ist zeitlich eingegrenzt, du bist also auf andere Leute angewiesen?

Überhaupt nicht! Das Schöne an Performance ist, daß es für alles, was ich sage, auch ein Gegenbeispiel gibt! Es gibt Einsekundenstücke, Zehnjahresperformances und solche, die das ganze Leben dauern. Ich habe schon 20 Sekunden gebraucht und auch mal vier Tage.

Braucht man ein anspruchsvolles Publikum, wenn man eine gute Performance macht?

Es gibt Basishandlungen, die allgemein verständlich sind, egal, wo man gerade ist. Ansonsten erleichtern, wie überall, bestimmte Erfahrungen oder Wissen die Rezeption.

Interview: Anne Hahn

Kontakt und Termine: www.satt.org/pakt

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