Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Einer gegen alle

Olaf Staps' Fall ist noch nicht zu Ende

In einem der folgenreichsten Einzelkonflikte zwischen Mieter und Vermieter in Berlin hat die Justiz entschieden. Wegen Brandstiftung und Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten verurteilte das Landgericht Moabit am 20. Juli den Friedrichshainer Olaf Staps zu vier Jahren Haft. In einer Lage, in der andere unzufrieden wegziehen, hatte Staps zur Selbstjustiz gegriffen. Zunächst zündete er im September 1999 den Seitenflügel der Grünberger Straße 52 an. Das sah er als letzte Chance, sich gegen die unerwünschte Modernisierung seiner dortigen kleinen Wohnung zu wehren. Im Januar 2000 drohte er dann, die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration der PDS mit Handgranaten anzugreifen. Er wolle dadurch, so bekundete er in langen Schreiben, mit der unsozialen Politik der linken Partei, namentlich ihrer Friedrichshainer Baustadträtin Martina Albinus-Kloss, abrechnen. Albinus-Kloss hatte auf Staps mehrmalige, polemische Forderung, ihn im Streit mit dem Hausbesitzer Pedro Donig zu unterstützen, nicht reagiert. Nach dem Brandanschlag versteckte sich Staps einen Winter lang in der Gefängnisruine Rummelsburg, danach in einer Wohngemeinschaft. Im April 2001 wurde er in einer Disko festgenommen.

Der Fall ist damit noch nicht zu Ende. Denn Staps geht in die Berufung. Zwar hat er sich zu allen Anklagepunkten bekannt. Doch ringt er um Prinzipien. Am letzten Prozeßtag hatte Staps noch einmal erklärt, daß seine Taten „Notwehr" in einem ungleichen Streit mit dem Hausbesitzer um seinen Lebensort gewesen seien – ein Verbrechen „für ein viel größeres Verbrechen". Zwar wiederholte er diesmal nur wenige der Schlagwörter aus seinem ersten Brief (siehe scheinschlag 11/99). Damals hatte Staps unter anderem die Wende 1989 als „Konterrevolution", jedes Eigentum als „sogenannten Besitz", den Hausbesitzer Donig, die PDS und andere als „Konsorten" bezeichnet. Nur kommunales oder genossenschaftliches Wohneigentum und eine „sozialistisch-revolutionäre Wohnungspolitik" wollte er anerkennen. Aber auch jetzt wirkte Staps, als habe er sich von einem nachvollziehbaren Anliegen aus verrannt in der Idee, eine ganze Gesellschaft habe sich gegen ihn verschworen.

Zugleich wurden durch Staps viele alte Probleme erneut sichtbar. Das „Programm zur sozialen Stadterneuerung" kann eine Sozialverträglichkeit von Sanierungen offenkundig nicht allein dadurch garantieren, daß der Senat mit Hausbesitzern Mietbegrenzungen gegen hohe Fördergelder vereinbart. Das Kriterium der Zumutbarkeit bleibt nur eine unumgängliche Pauschalisierung. Denn immer werden einzelne wie Staps jeden Eingriff in ihre langjährige, selbst gestaltete Lebenswelt als Gewalt empfinden. Sie verweigern sich der gängigen Logik der Wohnwerterhöhung. In solchen Konflikten zwischen Eigentumsrecht und Lebenszentrum des Mieters entscheiden Gesetz und Gerichte nach dem Grundsatz der „Interessenabwägung"­ und da zählt der Eigentümer hoch. Mit seinen Taten wurde Staps für seine Nachbarn lebensgefährlich. Damit, daß er die Veränderungen seit 1989 nicht akzeptiert, aus Sicht der entstandenen Gesellschaft a-sozial. Zugleich bleibt es rhetorisch, Mietern das Verbleiben während der Bauarbeiten anzubieten, wenn anschließend keine Rücksicht auf sie genommen wird. Und welchen Toleranzbegriff hat Donig, wenn er politische Aufkleber auf Staps Wohnungstür als „Sachbeschädigung" entfernen ließ, was letztlich der Auslöser für Staps Bruch mit einem Kompromißweg war. Staps sieht die Gesellschaft verschworen gegen sich. Dabei hat sie vielleicht gerade durch Desinteresse versagt.

Martin Fliegelman

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