Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Presto Lounge

Der „schnelle Aufenthaltsraum", suptile Warnung eines Großkonzerns

Spät abends konnte man den Laden kaum entdecken, zu gut hatte er sich eingepaßt in seine Umgebung aus Galerie und minimaler Boutique. Groß auf der Schaufensterscheibe ein aufgeblasenes und verformtes P in einem Kreis, das in seiner demonstrativen Lässigkeit sowohl von Keith Haring als auch aus einem jener Läden stammen könnte, die aufblasbare Blumenvasen verkaufen.

Dahinter liegt ein kleiner vollgestellter Raum. Plattenspieler gibt es da und Kletterpflanzen (kunstvoll-spontan auf die Heizung drapiert), auf einem Couchtisch liegen ID und Face, darum herum praktische Sitzsäcke. An der Decke hängt eine Diskokugel, vor dem Fenster faltbare Lampen aus Reispapier ­ teilweise kaputt. Im hinteren Teil des Raumes gibt es eine kleine Bar. Die Wände sind grob weiß gestrichen, als Kontrast dazu verläuft über zwei Wände auf Augenhöhe ein leicht krummer schwarzer Streifen. Längs des Streifens sind kleine Plexiglaskästen befestigt. In ihnen befinden sich keine Kunstexponate, nein, Nike-Turnschuhe. Aber nur fünf Stück, zum ansehen und bewundern, sind ja auch wirklich kleine Kunstwerke, diese Schuhe ...

Man befindet sich ­ vielleicht ahnt man schon, daß irgendetwas nicht stimmt ­ nicht in irgendeiner Galerie, sondern in der Nike „Presto-Lounge". Der Weltkonzern hat in der Rosenthaler Straße 51 in den Wochen vom 19.7.­ 10.8. einen begehbaren, temporären Werbeprospekt im praktischen Szeneformat inszeniert.

Die gestiegene Durchlässigkeit zwischen Kunst, Subkultur und Kommerz ist längst bekannt und dokumentiert. Nicht zuletzt aufgrund der Entscheidung von Kreativen, Teile ihrer Arbeit selbst zu kommerzialisieren, bevor es andere tun, und sie bewußt dem Mainstream zur Verfügung zu stellen.

Mit der Nike-Lounge erlebt man eine ganz neue Variation des Themas: Nicht nur das Bild einer Szene wird verwertet, wie es in der Mode schon lange geschieht, sondern auch einer ihrer Orte.

Mit der „Presto Lounge" gelingt Nike eine weitere Differenzierung in ihrem Image- und Lifestyleangebot: neben Kreuzberger Fußballkids und Chicagoer Basketballern gibt es jetzt auch Berliner Szene. Das Konzept ist einfach: Ästhetische Codes werden übernommen ­ das Zusammengewürfelte und leicht Schäbige zum Beispiel oder auch das offensichtlich Temporäre ­ und mit den eigenen Turnschuhen verbunden. Das übrige tun die Angestellten im 80er Dress, die Musik und der Ort. Folgerichtig wird auch nichts verkauft.

Auf diese Weise werden Eigenschaften der Szene auf die eigenen Produkte übertragen, ein Image verwertet. Daß der „Überträger" dieser Eigenschaften nun ein Ort ist, macht den wichtigen Unterschied zu anderen Formen der Verwertung aus. Während Mode relativ selbstbezüglich ist, d.h. es immer die Möglichkeiten der Abgrenzung gibt, spielen bei Räumen auch wirtschaftliche und soziale Aspekte (Mieten, Präsenz im öffentlichen Raum) eine Rolle.

Während in Berlin die Subkultur in den frühen neunziger Jahren aus unabhängigen „Pionieren" bestand, die, angezogen von leerstehendem Raum und billigen Mieten, eine Atmosphäre erzeugten, die sich anschließend an kaufkräftige Mieter verkaufen ließ, werden Kreative heute bewußt als Teil einer zeitlich begrenzten Vermarktungsstrategie für leere Räume angeworben. Auch Berlin als ganzes vermarktet sich ja längst als Stadt der Kreativen.

Dieser Vermarktung kommt Nike mit ihrer kontrollierten Simulation entgegen. Die öffentliche Erscheinung im Stadtraum ähnelt den Ladenlokalen und Galerien der Szene, ist also für das Image der Stadt durchaus zu verwerten. Auch ergeben sich keinerlei Risiken hinsichtlich der Inhalte: Nonkonformes ist von einem Konzern wie Nike kaum zu erwarten.

Eben daraus ergibt sich eine Gefahr für Öffentlichkeit und Szene: Simulationen sind immer kontrollierbarer als ihr Ursprung, sind also leichter verdaulich und werden so immer stärker zentrale Orte besetzen.

Es stellt sich die Frage, ob die Subkultur nicht selbst entscheidend zum Phänomen einer „Presto Lounge" beiträgt. Zum einen führt die „klassische subkulturelle Geste" der Kommunikationsverweigerung (Diederichsen) sicherlich dazu, eine größere Öffentlichkeit zu verhindern, was grundsätzlich wichtig wäre, um wenigstens die „Spur eines Arguments" zu hinterlassen. Andererseits zeigt sich da, wo es durchaus eine unmittelbare Öffentlichkeit geben könnte, auf den Straßen vor den Ladenlokalen, daß es oft nicht mehr zu sehen gibt, als die eigene Existenz. Mehr und eine öffentlichere Kommunikation von Inhalten würde sich sicherlich einer einfachen Verwertung der Subkultur als Bild widersetzen und könnte dauerhaft zu mehr Substanz führen. So gesehen gilt es auch, die „Presto Lounge" als Warnung zu verstehen: eine widerstandslose Vereinnahmung des eigenen Bildes durch Fremde könnte langfristig auch zu einem Verlust der Legitimation der eigenen Anwesenheit in den Straßen führen.

Nike wiederum muß man zu Gute halten, daß sie eine kritische Öffentlichkeit förmlich suchen und schon mit dem Namen eine Warnung mit auf den Weg geben. Oder können Sie sich unter einem „schnellen Aufenthaltsraum" etwas angenehmes vorstellen?

Stephan Becker (sb.becker@web.de)

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