Ausgabe 07 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Der wiedergefundene Sohn

Ressources humaines von Laurent Cantet ist ein packendes Sozial- und Familiendrama

Auf die Frage des Fabrikdirektors, was er denn von der 35-Stundenwoche halte, antwortet der gutgekleidete junge Mann ausweichend. Der BWL-Student Frank (Jalil Lespert) ist aus Paris in seine normannische Heimatstadt zurückgekehrt, um in der Fabrik, die seinen Vater als einfachen Arbeiter beschäftigt, ein Praktikum zu absolvieren – in der Chefetage. Der smarte Youngster steht in der Gunst seines Chefs ganz oben und arbeitet an einem Fragebogen über verkürzte Arbeitszeiten für die Belegschaft. Zu spät erkennt der naive Eiferer, daß die dadurch erstellten Daten als Vorwand für Entlassungen dienen. Franks Vater ist auch betroffen.

Ressources humaines bezeichnet in Frankreich die Personalabteilung. Wörtlich genommen bedeutet der Ausdruck indes auch „(menschliche) Arbeitskräfte", womit dem bürokratischen Begriff die persönliche Dimension zufällt, die Frank als Angehöriger eines künftigen Arbeitslosen jetzt am eigenen Leibe erfährt. Der Sohn des Fabrikarbeiters, dem seine proletarischen Wurzeln stets peinlich waren, setzt sich nun gegen die Willkür der Bosse zur Wehr, ruft mit den Gewerkschaftern zum Streik auf. Erst kommt die Moral, dann das Fressen. Die Einstellung kann er sich aufgrund seiner guten Ausbildung eher leisten als seine Kumpel von früher, die den Aufsteiger mit Argwohn betrachten und jetzt an ihrem Arbeitsplatz in der Fabrik festhalten. Auch sein apolitischer Vater schließt sich der Protestbewegung nicht an, wirft dem frisch gefeuerten Sohn gar vor, seine Karriere leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Denn der brave Arbeitssoldat hat es nie gelernt, Widerstand zu leisten. Er steht seit dreißig Jahren an derselben Maschine und erträgt demütig die Gängeleien seiner Vorgesetzten.

So bezieht Laurent Cantets Regiedebüt seine Spannung aus dem sich zuspitzenden Vater-Sohn-Konflikt. Das Sozialdrama handelt aber auch von der Rückkehr des verlorenen Sohnes. Durch das Akzeptieren seiner Wurzeln und das daraus entstehende Selbstbewußtsein macht Frank sich frei für einen eigenen Lebensentwurf.

Ressources humaines steht in der kürzlich wiederentdeckten französischen Tradition eines sozialkritischen Kinos. Cantet rehabilitiert die aussterbende Arbeiterklasse, indem er ihre Protagonisten ernst nimmt, sie jedoch nicht glorifiziert oder ihre kleinbürgerlichen Aspirationen verschweigt. Bis auf den großartigen Hauptdarsteller Jalil Lespert besteht das Darstellerensemble ausschließlich aus Laien, die ihre eigenen Berufe spielen. Sie verleihen den Prototypen des zynischen Chefs, der kämpferischen kommunistischen Gewerkschafterin und des scheinheiligen Funktionärs viel Tiefe und gleiten nie ins Cliché ab.

Kira Taszman

„Ressources humaines", F 2000; R: Laurent Cantet; D: Jalil Lespert, Jean-Claude Vallot, Danielle Melador

Kinostart: 19. Juli

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