Ausgabe 07 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Die Kreativen wandern ostwärts

Von den Kulturbrauereien zur Kultur im Plattenbau

Rob Savelberg trägt einen verbeulten Strohhut und ein T-Shirt mit der Aufschrift „Lehrer". Der 24jährige kommt aus Holland und hat im Haus des Lehrers temporär die „Döblin-Lounge" betrieben. Nun steht er zwischen gepackten Kisten. Um ihn herum herrscht Umzugschaos. Die „Lehrer" ziehen aus, nicht ganz freiwillig. Vor zwei Jahren haben sie befristete Verträge für eine Zwischennutzung bekommen. Zehn Jahre lang hatte sich kein Investor gefunden, der bereit war, unter den Auflagen des Denkmalschutzes zu sanieren. Zumal das Haus des Lehrers und die benachbarte Kongreßhalle nur im Doppelpack zu haben waren. Die Zwischennutzer sind Künstler, Fotografen, Mediendesigner, viele sind Architekten. Manche haben junge Firmen gegründet. Sie sollten in der Zwischenzeit nicht nur die Miete einspielen, sondern auch das Image des Ortes aufwerten – was in den achtziger und neunziger Jahren meist Nebeneffekt des Einzugs der „Subkultur" war, ist mittlerweile ökonomische Verwertungsstrategie geworden. Nun haben sie offensichtlich ihre Schuldigkeit getan. Von der Haushaltskrise getrieben, versucht das Land Berlin, immer noch Besitzer der Immobilie, das Haus so schnell wie möglich los zu werden. So schnell, daß die Künstler ihre Koffer packen müssen, bevor überhaupt ein Kaufvertrag mit dem künftigen Investor, der Grundstücksgruppe „Berlin Congress Center", unterschrieben ist. Die Mitgesellschafterin der Grundstücksgruppe ist die Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Das Land wirtschaftet also in die eigene Tasche.

„Wir haben überlegt, ob wir das Haus besetzen sollen", erzählt Rob, aber er lenkt gleich ein: „Eigentlich sind wir keine Besetzer." Wer aber sind diese Leute, die uns nun wehmütig ihre ehemaligen Räume zeigen – riesige Gemeinschaftsräume, Flure und Ateliers? Warum sind sie gerade hierhergezogen? Seit zwanzig bis dreißig Jahren sind es in der Regel Altbauten, in die Künstler und Kreative einziehen. Ausgediente Fabriken oder verfallene Mietskasernen, Bauten, die aus dem Verwertungsinteresse herausgefallen sind. Die Ufa-Fabrik und die Fabrik Lehrter Straße in Westberlin, der Eimer, die Tachelesruine und der Pfefferberg als Kulturzentren des wiedervereinigten Berlin. Neben der Verfügbarkeit der Orte, schien es eine bestimmte Nostalgie zu sein, die nicht nur die „Szene" den Charme einer besseren alten Zeit suchen ließ. Mittlerweile ist fast jede alte Fabrik zur Kulturfabrik und jede Brauerei zur Kulturbrauerei geworden. Vielleicht haben nun die ersten den Masseneskapismus in die „Goldenen Zwanziger" endlich satt.

Die Lehrer haben die Architektur der DDR-Moderne für sich entdeckt. „Wir hatten keine Lust mehr auf die muffige Gründerzeitromantik." Als Rob noch in Holland wohnte und nur besuchsweise hierherkam, fand er den Alex eher abstoßend. Nachdem er nach Berlin gezogen war, begann er sich mit dem Ort auseinanderzusetzen. Mittlerweile liebt er ihn. Er führt in seine ehemalige „Döblin-Lounge", wo man auf Matratzen liegend stundenlang dem Hörspiel „Berlin-Alexanderplatz" nach Döblin lauschen konnte, mit Blick auf die bizarre Silhouette des Alex, den Fernsehturm neben dem Alexander- und Berolinahaus von 1929, das Berliner Verlagsgebäude und das Forum-Hotel. Rob, der sich als Historiker, nicht als Künstler versteht, wollte durch die Auseinandersetzung mit Döblins Roman ein Bewußtsein für den Platz schaffen. Nicht nur für die DDR-Moderne, sondern für die spannungsvolle Geschichte des Alex. „Das Problem ist, daß die meisten entweder einen rückwärtsgewandten Zugang zu einem Ort haben – sie wünschen sich das ,alte' Berlin zurück – oder aber nur eine Zukunft sehen wollen, die aufgrund einer Tabula rasa entsteht. Dementsprechend wird ein neues Wolkenkratzerensemble auf dem Alex geplant, das alles Vorhandene ignoriert. Ich versuche einen Blick darauf zu öffnen, wie sich der Platz verändert hat, und welche Geschichte er heute erzählt." Die DDR-Moderne ist Teil dieser Geschichte. Auch die Architekten im Haus des Lehrers setzten sich mit der DDR-Baukunst auseinander. In der Veranstaltungsreihe „Liebster Dienstag" gab es bei viel Publikum Filme, Ausstellungen und Vorträge zu architektonischen Themen. Zum Beispiel zum Café Mosaik oder zur Prachtmeile Karl-Marx-Allee. Und der Fotograf Torsten Seidel ist am lezten Tag im Haus des Lehrers noch dabei, die letzten Ausblicke auf die Kongreßhalle auf Zelluloid zu bannen.

Und das Haus des Lehrers selbst? Die Architektur von Hermann Henselmann steht unter Denkmalschutz, auch das Mosaik von Walter Womacka. Aber das Innenleben des Hauses wird verloren gehen, sollten die Pläne eines Bürohauses und Kongreßzentrums realisiert werden. Die Lehrer haben die kleinen Räume mit den Panoramafenstern längs der weitläufigen Flure als „Denkzellen" begriffen – zum Nachdenken, relaxen und arbeiten. Die großzügigen Gemeinschaftsräume dienten dem Austausch. Anstelle dessen werden die üblichen Großraumbüros entstehen.

Aber die Lehrer werden „ihre" Räume nicht verteidigen, wie die Kulturschaffenden, die Orte wie Tacheles und Pfefferberg besetzt und als Kultur-standorte etabliert haben. Die sich jedoch – zwangsläufig – in Eigenregie kommerzialisierten und heute wenig von der inspirierenden Atmosphäre der Anfangstage behalten haben. Die Lehrer sind Nischennutzer – Nischennutzer zwischen Episoden der Geschichte, wie Rob sagt. Zwischen DDR und hochfliegenden Manhattanträumen der Stadtplaner. Nun suchen sie die nächste Nische. Ein Teil von ihnen zieht ins benachbarte Haus des Reisens. Ein Teil weicht nach Friedrichshain aus, ins ehemalige Haus des Neuen Deutschland. „Zu Anfang war die Idee den meisten noch unheimlich", sagt er. „Der Blick auf so viele Plattenbauten hat uns tatsächlich abgeschreckt. Der Franz-Mehring-Platz liegt irgendwie noch viel weiter im Osten als der Alex." Nun schwinden langsam die Berührungsängste. Die Kreativen ziehen ostwärts.

Tina Veihelmann

Foto: Mathias Königschulte

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