Ausgabe 06 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

In Zeiten des Trallala

Im Grunde hat Margarethe Pape recht

Wenn manch einer dachte, daß die Zeit der Revolutionen (die der wahren, blutigen Revolutionen, nicht der virtuellen) nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus zu Ende gegangen sei, mußte er sich vor kurzem eines besseren belehren lassen: Die Sprecherin der Initiative „Rettet den Großen Tiergarten vor der Love Parade" Margarethe Pape prophezeite, wenn der Love Parade-Veranstalter Planetcom und die Berliner CDU wie bisher miteinander klüngeln würden, käme es zu einer Radikalisierung der Massen, es würde Blut fließen. Ja, Frau Pape beschwor das Heraufdämmern einer Revolution, wenigstens eines Aufstands gegen die Technoparade herauf: gegen die Zerstörung des Großen Tiergartens, die Enteignung des öffentlichen Raums durch Großkommerzveranstaltungen, korrupte Politiker.

Vor zwei Jahren begann die revolutionäre Laufbahn der Opernsängerin Margarethe Pape. Angesichts der Verwüstung des Tiergartens kurz nach dem Massenaufmarsch der Raver: „Alles stank nach Urin, nach Scheiße, die Pflanzen waren zertrampelt, die Seen trübe" erlebte sie eine Art Erweckungserlebnis. Sie gründete die Initiative zur Rettung des Tiergartens, später die „Aktion 2000" ­ die antikapitalistische Vorhut des Bürgerprotests. Denn Frau Pape war über ihr Umweltschutz-Engagement schnell zur allgemeineren Systemkritik gekommen. Zu ihrem Anliegen, den Raver-Umzug auf eine andere Strecke zu verlegen, gesellte sich bald das Bedürfnis, die unselige Verquickung von Kommerz (Planetcom) und Politik (CDU, insbesondere Wirtschaftsenator Branoner) offenzulegen.

Die Love Parade geht seit je her als politische Demonstration durch: Sie tritt ja auch für große politische Ziele ein, wie etwa „Friede!", „Freude!" oder „Eierkuchen!". Die Kundgebung solchen Wollens äußert sich im gemeinschaftlichen Herumhopsen. Als Emanation des weltanschaulichen Bekenntnisses bleiben die Urinteiche und Kotberge im Tiergarten zurück. Allerdings ohne daß der Veranstalter bisher etwas für die Beseitigung der Umweltschäden oder auch nur des anderweitig entstandenen Mülls zahlen mußte. Als politische Demonstration deklariert, mußte nicht Planetcom, sondern das Land Berlin für den Abfall aufkommen: in jedem Jahr etwa 200000 Mark für den Müll, zusätzlich 1,4 Millionen für die Wiederherstellung des Tiergartens. Naja: Eierkuchen!

Bei jeder Gelegenheit verweist Planetcom auf Toleranz und Weltoffenheit: das, wofür die Love Parade stehe. Diese Argumentation dient ihr nicht nur zur Begründung des politischen Anspruchs, sie ist auch in anderer Weise nützlich. So muß sich der Raver, der im allgemeinen Hochfrequenzstakkato der Parade herumhopst, nicht mehr nur fühlen wie ein Raver, der im allgemeinen Hochfrequenzstakkato herumhopst, er kann dies tun in der Gewißheit eigener Toleranz und Weltoffenheit, sozusagen als ein Mensch, der das Gute will. Und folgerichtig ist ein Love Parade-Gegner ein schlechter Mensch und darf genau so behandelt werden.

Im Internet bezeichnen denn auch Befürworter der Parade Frau Pape und ihre Mitstreiter als verlogene Propagandisten, Ewig-Gestrige, eine Minderheit, die der Mehrheit ihren Willen mit totalitären Praktiken aufzwingen will, als diktatorische Ossis gar. So erweist sich das vorgebliche Streiten für Toleranz und Weltoffenheit als rein selbstbezüglich: Die anderen sollen tolerant sein, wenn die Raver im Tiergarten tanzen, pissen, tanzen, scheißen oder wenn Planetcom unter Umgehung der Müllbeseitigungskosten höchstmöglichen Profit zu schlagen sucht.

Und der Senat hilft kräftig mit: Die Bürgerinitiative und Papes Aktion 2000 meldeten für sämtliche Juli-Samstage des Jahres 2001 Veranstaltungen auf der Straße des 17. Juni an, noch bevor Planetcom ihre „politische Demonstration" Love Parade registrieren ließ. Der GAU drohte: keine Love Parade, Ausfall einer Viertelmilliarden Mark für die Stadt, ein Albtraum für Wirtschaftsvorsteher Branoner. Die Notbremse mußte gezogen werden. Mittlerweile hat der Senat dem Techno-Spektakel den Status der politischen Demonstration aberkannt und die Love Parade als kommerzielle Veranstaltung eingestuft: Mit dem von Planetcom umgehend eingereichten Antrag „Sondernutzung öffentliches Straßenland" wird die Parade wohl wieder im Tiergarten stattfinden. Das Land Berlin tritt als Mitveranstalter auf. Immerhin: Planetcom kommt nunmehr wenigstens teilweise auf für die Scheiße, die die Love Parade produziert.

Margarethe Papes Ansichten mögen überspannt, pathetisch, unmodern und in Zeiten des Neoliberalismus und der Globalisierung antiquiert erscheinen, aber im Grunde hat sie recht. Als Heroine einer verloren geglaubten Ernsthaftigkeit wehrt sie sich gegen eine vom Kommerz korrumpierte und infantilisierte „Friede, Freude, Eierkuchen"-Spaßgesellschaft, die nichts als Dreck hinterlässt. Es lebe die Revolution!

J. Luther

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 06 - 2001
>