Ausgabe 06 - 2001 berliner stadtzeitung
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Zwischen Tradition und Neudefinition

Im Arsenal findet das 7. „Berlin Jewish Film Festival" statt

Die Geschichte des Judentums wird aus gutem Grund in erster Linie als Leidensweg wahrgenommen. Auch ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust ist dieser in Filmen über Juden stets implizit präsent, selbst wenn er nicht deren eigentlicher Gegenstand ist. Das Thema des Völkermordes an den Juden hingegen ist mit solchen Tabus belastet, daß Filme, die sich damit beschäftigen, in der Öffentlichkeit (gerade im Lande der Täter) aus Angst vor Mißverständnissen von vornherein mit anderen Maßstäben gemessen, d.h. oft unkritisch positiv bewertet werden. Dabei verwechselt gerade Hollywood trotz guter Absichten häufig Geschichtsvermittlung mit (hier besonders unangemessener) Rührseligkeit, wofür neuere Werke wie Peter Kassovitz' Wiederverfilmung von Jakob der Lügner ein trauriges Beispiel sind. Die Frage, ob sich die Shoah überhaupt dazu eignet, filmisch-fiktional aufgearbeitet zu werden, hat daher nichts an Aktualität eingebüßt. So warf der französische Regisseur Claude Lanzmann (Shoah) seinen Kollegen Steven Spielberg und Roberto Begnini vor, in ihren Werken Schindler's Liste und Das Leben ist schön die Shoah und die Realität in KZs zu banalisieren und setzt auf den Dokumentarfilm als Herangehensweise an die Thematik. Dem steht wiederum die Publikumsresonanz der beiden Spielfilme und ihr größerer Einfluß entgegen.

Polemik beiseite, das Thema Juden im Film ist schier unerschöpflich, was die anhaltende Nachfrage an der nunmehr 7. Auflage des „Berlin Jewish Film Festival" im Arsenal beweist. Unter dem Motto „Leben und Überleben" präsentiert es auch in seiner zweiten Woche Spiel- und Dokumentarfilme, die sich nicht nur mit dem jüdischen Martyrium befassen. Jenseits vom Mainstream-Kino beleuchten sie, zuweilen auch sehr humorvoll, unterschiedlichste Facetten jüdischen Lebens, in denen die Protgagonisten sich häufig zwischen ihrer Tradition und einer nicht-jüdischen Umwelt neu definieren müsssen.

Jean-Jacques Zilbermanns französischer Beitrag L'homme est une femme comme les autres etwa handelt von dem schwulen jüdischen Musiker Simon. Er wird von seiner Familie als einziger männlicher Nachkomme zur Heirat gedrängt. Dabei gerät er in einen Gewissenskonflikt, da die zukünftige Braut ihn wirklich liebt, während er in seinen Hetero-Cousin verschossen ist. Was hier in heiterem Ton verhandelt wird, wirft jedoch existentielle Fragen auf. Simon gehört einer Minderheit in der Minderheit an und ist hin- und hergerissen zwischen seinem berechtigten Anspruch auf persönliches Glück und dem Pflichtbewußtsein gegenüber einer von einem kollektiven Trauma gezeichneten Gemeinschaft.

Der argentinische Kurzfilm El Séptimo Día von Gabriel Lichtmann besticht dagegen durch sein raffiniert erzeugtes allgegenwärtiges Klima der Bedrohung und Paranoia. In einer Synagoge in Buenos Aires soll eine Bar Mitzwah stattfinden. Neuankömmlinge werden vom Sicherheitsdienst einer minutiösen Kontrolle unterzogen. Selbst alte gebrechliche Gäste könnten potentielle Attentäter sein. Den Anstoß für seinen 10-minütigen Film erhielt der Regisseur von dem blutigen Anschlag auf die AMIA, eine jüdische Einrichtung in Buenos Aires, dem im Juli 1994 86 Menschen zum Opfer fielen.

In Timbrels und Torahs beobachten Miriam Chaya und Judith Montell Frauen, die an ihrem 60. Geburtstag die traditionelle Weisheitsfeier „Simchat Chochma" wiederaufnehmen. Bei der Zeremonie geben sich die Frauen einen neuen Namen und erhalten den Segen der Gemeinde. So beweisen sie Selbstbewußtsein in einer vom Jugendwahn geprägten Gesellschaft.

Einer weiteren imposanten Frau, der Anarchistin Emma Goldman, die ihr konsequentes Einstehen für ihre Ideen mit Exil und Gefängnis bezahlen mußte, widmet der Kanadier Coleman Romalis ein Portrait.

Die sehenswerte Dokumentation Fighter schließlich begleitet zwei Holocaust-Überlebende, die Exiltschechen Arnost Lustig und Jan Wiener bei einer Erinnerungsreise durch Stätten ihrer leidvollen Vergangenheit. Sind die beiden Freunde durch ihr gemeinsames Schicksal als Verfolgte vereint, unterscheiden sie sich charakterlich und in der Interpretation ihrer Biographie. Die Wortgefechte der beiden Männer, die zuweilen in handfeste Streitereien ausarten, erzeugen eine gewisse Heiterkeit beim Zuschauer, der sich gleichzeitig nichts sehnlicher wünscht, als daß die beiden charmanten Haudegen das Kriegsbeil wieder begraben mögen.

Kira Taszman

7. Berlin Jewish Film Festival: noch bis zum 20. Juni im Arsenal am Potsdamer Platz, Programmauskünfte unter: 269 55 100

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