Ausgabe 06 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Heimatkunde

Anke Feuchtenbergers Reise ins Innere der Körperempfindung

Je weniger wir ihn scheinbar brauchen, dank vielfältiger technischer Substitute und Erweiterungen, umso mehr erweckt er unser Interesse: der menschliche Körper. Auf Kurzbesuch aus dem Internet kann man sich in der „Körperwelten"-Ausstellung der „Faszination des Echten" aussetzen oder im Fitneßstudio selbst als Skulpteur des eigenen Materials betätigen.

Das Haus nennt die Comiczeichnerin Anke Feuchtenberger ihre Begehung des Körpers in 30 Teilen. Anders als den „Körperwelten" mit ihren materialfixierten, in alberne Posen gezwungenen Plastinaten geht es ihr um den Bewohner dieses organischen Hauses: den Geist-Steuermann und Gefangener zugleich der ihn umgebenden Maschine aus Knochen und Fleisch.

Die Sinnesorgane werden bei Feuchtenberger ganz explizit als Werkzeuge der Selbsterforschung genutzt, wenn sich „die Augäpfel nach innen wälzen, um nach dem verlorenen Maß zu suchen". Auch nach außen gewandt ist der Körper niemals nur Auslöser, und so empfängt die Fußsohle „ein Zeichen, als sie einen Abdruck hinterläßt". Zunge, Mundwinkel, Gaumen, Bauchdecke und Kniescheibe sind einige der weiteren Stationen. Entlang dem extremen Hochformat der Seiten steigt man ihre wild flirrenden Bildassoziationen hinab. Beim weiblichen Geschlecht führen diese von einem trommelnden Hasen über Taucherin, Rakete im All und von einem Wassergraben umgebener Trutzburg zu einer Frau im Kochtopf, unter dem ein Feuer brennt.

Die Texte der Anke Feuchtenberger waren bisher leider allzu oft von stilistisch haarsträubendem, unausgefülltem Pseudotiefsinn geprägt. Hier aber sind sie von einer neuen inhaltlichen und sprachlichen Überzeugungskraft.

Daß Anke Feuchtenberger zeichnen kann, steht außer Frage; seit ihren Anfängen bei der Berliner Zeichnergruppe „PGH Glühende Zukunft" hat sie neben ihren Büchern unzählige Theaterplakate und Illustrationen mit ihrem plakativen und zugleich sublim durchgeistigten Stil geprägt. Schon lange bevor sie ihre Professur in Hamburg antrat, wurde sie dafür von einem Schmeißfliegenschwarm an Epigonen belohnt. Von diesen hebt sie sich mit dem Haus durch eine neuerliche subtile Wandlung und Verfeinerung ab.

Kai Pfeiffer

Anke Feuchtenberger: Das Haus, Reprodukt Verlag Berlin 2001. 29,90 DM

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 06 - 2001
>