Ausgabe 06 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Hassemers Quasselbude (Teil 1)

Am 12. April 1991 tagte das erste „Stadtforum", zehn Jahre später feierte man „demokratische Stadtdiskussion" bei Kaffee, Kuchen und prominenten Gästen. Die Architekturhistorikerin Simone Hain zieht ein Resümee in zwei Teilen.

Beim Stichwort „10 Jahre Stadtforum" höre ich es bimmeln. In seiner ersten Phase in der Wallstraße gehörte nämlich ein Glöckchen zum Geschäft des Moderators. Dieses „Stadtforum Berlin" war ein Projekt von unten und ein Kind der bewegten Zeit nach dem Mauerfall – als alle in Berlin noch mit allen sprachen. Als sich Ost und West in der Behrensstraße oder beim „Stadttor" in Kreuzberg kennenlernten und noch eine Menge zu bereden war. Das Ganze hatte am 9. Dezember mit einer Baustellenbesetzung begonnen. An jenem Tag konstituierte sich die erste Ost-West- Initiative – ironischerweise im Namen der „Kritischen Rekonstruktion", denn auch die Preußenverehrung war da-mals noch kein mit Schloßattrappen und Abrissen reaktionär gewendetes Westprivileg. Vier Wochen nach dem Mauerfall war es darum gegangen, zu verhindern, daß das Wohnungsbaukombinat am Leipziger Platz einfach weiter seine, die alten Fluchtlinien verletzenden, Kreise zieht – als sei hier nicht mit dem Oktogon einer der markantesten Friedrichstädtischen Plätze aus dem Niemandsland wieder aufgetaucht. Das Manifest der von Ulrich Reinisch, Dieter Hoffmann-Axthelm, Bruno Flierl initiierten „Gruppe 9. Dezember" war das erste Dokument, in dem eine breite demokratische Einflußnahme und darüber hinaus ein politischer „Stadtvertrag" eingefordert wurden. Diese gesellschaftspolitische Idee ging auf Hardt-Waltherr Hämers Kreuzberger Erfahrungen zurück.

Das Glöckchen des Stadtforums war auch eine Reminiszenz an die Kirchenleute der Evangelischen Akademien, die – ihrer Rolle an den „Runden Ti-schen" der ausgehenden DDR eingedenk – gemeinsam mit dem Deutschen Werkbund Pate für das jüngste Kind der Demokratie gestanden hatten. Jedenfalls ging die Initiative zur Einrichtung eines Stadtforums im Herbst 1990 von der Französischen Kirche am Gendarmenmarkt aus. „Berlin – menschliche Metropole" lautete das Motto der von Michaele Schreyer ins Leben gerufenen Veranstaltung, bei der Helga Faßbinder konkrete niederländische Mitsprachemodelle auf einen Berliner Maßstab zuführte. Die Grünen brachten daraufhin ein „Konzept zur Weiterentwicklung der Demokratisierung der Bau – und Stadtentwicklungskultur in Berlin" ins Umweltministerium ein, das mit einigen Modifikationen am 5.3.1991 durch den neuen Amtsinhaber Volker Hassemer zum Senatsbeschluß geführt wurde.

Natürlich war allen Beteiligten klar, daß nach dem Bruch der rot-grünen Koali-tion infolge der bürgerkriegsähnlichen Räumung der Mainzer Straße und in der beginnenden Ära Diepgen das Ziel einer integrierten Stadtentwicklung unter „menschlicher" Prämisse ins Abseits geraten würde. Ausdrücklich wollte der neue Stadtenwicklungssenator den ungeheuren Verwertungsdruck nicht bremsen, sondern vielmehr „den Tiger reiten". Er nutzte das Stadtforum vor allem als „Teilchenbeschleuniger", indem er vierzehntägig die Informations- und Kommunikationsprozesse aller administrativ und planerisch Beteiligten effektiv verkürzte. Zum Teil kaschierten die kooperativen Sprach- und Planspiele die eigentliche Tatsache einer weitgehend überrannten Berliner Politik. „Visionen – während die Baugenehmigung längst erteilt ist", wurde nicht unzutreffend gespottet. Dennoch mußte man als Fachmann einfach hingehen, um an die Debatten angeschlossen zu sein. Oder „um all die Ungeheuerlichkeiten ausgesprochen zu hören, die so merkwürdig im Schwange sind" (Hämer). Allerdings bot das Stadtforum bis zur Halbzeit einen herrschaftsfreien Diskurs im Sinne von gemeinsamem Nachdenken. Auf der Agenda standen drängende Tagesfragen wie Potsdamer Platz, Alexanderplatz, Lehrter Bahnhof, Hauptstadtplanung und zugleich komplexere Querschnittsprobleme – die Methodik strategischer Planung, der wirtschaftliche Strukturwandel, die Globalisierung und die Region. Die Grundstruktur der Kommunikation war das Gespräch, das Verhandlungsziel der Konsens. Unter Experten, wohlgemerkt, denn das Stadtforum reagierte in der Hitze des Gefechtes in erster Linie auf den dringendsten fachinternen Diskussionsbedarf. In der Wallstraße ging es ein bißchen zu wie in einem gut geführten Klub. Die Teilnahme war grundsätzlich offen, hinter den „Bänken" für die verschiedenen Repräsentanten, konnten Besucher des Forums auf Rängen Platz nehmen, zuhören und sich einmischen. Daß nominellen „Gästen" – wie der Baustadträtin in Mitte – in aller Augen eine Quasi-Mitgliedschaft zuwachsen konnte, unterstreicht die relative Offenheit der Veranstaltung, zeigt aber auch die entscheidende Schwachstelle der personellen Besetzung: Staatsnähe bei Basisferne.

Es gab hin und wieder Sternstunden öffentlicher Ansprache. Etwa als der Schweizer Kurt W. Forster den zentralen Achsenraum der DDR-Hauptstadtfigur mit Fernsehturm, Marienkirche und Marx-Engels-Forum als einmaliges surrealistisches Arrangement beschrieb. Oder als Sloterdijk den Schloßplatz zum Gesellschaftsobservatorium des 21. Jahrhunderts bestimmte – als Ort, an dem die Zukunft erforscht werden müsse und keineswegs die Vergangenheit exploriert. Aktuell geblieben sind die Beiträge zum Thema „Stadtideen" – die auf Vielfalt und Collage, Polyzentralität, alltägliche Benutzerqualitäten, „Inseln der Leere", das Wasser und den „Himmel über Berlin" orientierten. Damals sprach man noch von der „Kultur der städtischen Freiräume" und deren „funktionales wie emotionales Grün". Man kann in den typographisch anspruchsvollen Stadtforum-Journalen nachlesen, wie zum Beispiel Uwe Sukopp (zuvor DDR-Umweltstaatssekretär und heute in Kasachstan für die Rückführung der Flüsse zum Aralsee engagiert) die eminenten ökologischen und landschaftlichen Funktionen der innerstädtischen Brachflächen erörterte. Auch die Irrtümer erreichten hohes Niveau – etwa wenn der Stadtplaner Heinrich Suhr eine Neubausubstanz von 400000 Wohnungen errechnete, und erst recht, wenn Ulrich Pfeiffer von „empirica" über den Bedarf des Dienstleistungssektors und das horrende Defizit an Büroflächen sprach. Unglaublich angesichts heutiger Leerstände, daß 1991 wegen des erwarteten Bevölkerungswachstums „nur noch geringe Hoffnung auf Nachverdichtung im Bestand" war. Statt dessen wurden „erste und zweite Schalen für verdichtete Einfamilienhausgebiete und für Großsiedlungen als Ergänzungsräume zur Innenstadt" vorgeschlagen – eben jene Projekte, an denen die Landesbank nun zugrunde gegangen ist. Heute bereits erstaunlich auch die linksliberal-aufgeklärte Diktion und die Toleranz. Da kann nicht allein Gerd Neumann anläßlich des „Olympischen Festessens" zu Füßen des Pergamonaltars von der „Gefährlichkeit derartiger Geistesverwirrung" sprechen und denkmalpolitisch den Abriß des Lenindenkmal geißeln, sondern der Redakteur druckt das Statement auch noch ab!!! Das waren noch Zeiten.

Wie der Einbruch einer langen Po-larnacht in einen subarktischen Sommer mutet dagegen die Neuauflage des Stadtforums unter der Ägide Hans Stimmanns und seines Senators an. Während das „alte" Stadtforum mit freimütiger Rede und witzigen Ideen – z.B. einer „Null-Variante" zur Olympiaplanung – seinen CDU-Senator schmückte und der wiedervereinten Stadt zur Rüsche geriet, wurden die harten Fakten beim Stadtbaudirektor gemacht. Hatte Hassemer die politische Kultur auf seiner Seite, so Stimmann die (Geld werte) Macht. Entsprechend anders waren bereits seine „Architekturgespräche", bei denen von einem erhöhten Podium herab durch ausgewählte Favoriten Gestaltungskonzepte verkündet wurden. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Eigentlich hat Stimmann in jenen Jahren den „Tiger geritten", nicht Hassemer. Das wußten die Investoren auch, die das Stadtforum nur goutierten, wenn es ihren Projekten den kulturellen Lack höherer Bedeutung verlieh, sie durchs schiere öffentliche Bereden gewissermaßen mit entwickeln half. Was sie von der Verwaltung verlangten war PPP, handfeste Public Private Partnership statt Palaver, konkrete Projekte und Pläne statt „Debatten über den ökologischen Wert der Ratten". Investor Dietmar Ortremba sagte, als er sich vom Stadtforum verabschiedete, sehr direkt, daß hier „fünf Jahre nur Wasser gepredigt wurde, während der Wein gleich um die Ecke bereitstand". Das war im Berlin-Pavillon. Bei Stimmanns Architekturgesprächen saßen die Investoren wie in einem kostenlosen Unternehmensberatungsseminar. Man konnte schließlich viel Zeit & Geld sparen, wenn man sich schon für die Bauvoranfrage den richtigen Architekten einkaufte. Stimmann übernahm 1996 das Stadtforum und modelte „Hassemers Quasselbude" nun zu einem schlankeren Instrument um. Abermals wurden nach klar verteilten Rollen von oben her Gestaltungssatzungen verkündet. Nur, daß es diesmal nicht mehr um Architektur, sondern den Diskurs selbst ging ...

Simone Hain

Fortsetzung folgt in Ausgabe 07/2001

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