Ausgabe 06 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Jenseits der Faulheit

Als Anfang 1998 das letzte Mal zu bundesweiten Arbeitslosenprotesten aufgerufen wurde, war alles anders. Im Vorfeld hatte fast die gesamte Presse „Französische Verhältnisse" beschworen und man hätte glauben können, eine Revolte sollte herbeigeschrieben werden. Die Gewerkschaften kanalisierten damals mit Erfolg die entstandene Bewegung in ihrem Sinne und überführten sie in eine Kampagne für Arbeit und für einen Regierungswechsel. Mit der Bundestagswahl hatte der Spuk dann auch wieder ein Ende.

Letzten Donnerstag fanden wieder „Bundesweite Erwerbslosenproteste" statt, weshalb sich in Berlin ein versprengtes Häuflein Unentwegter und Journalisten morgens um halb elf am Alexanderplatz versammelte. Der DGB gehörte zwar wieder zu den Aufrufenden, es drängte sich aber der Eindruck auf, daß seitens der Gewerkschaften kein Interesse am Entstehen einer Arbeitslosenbewegung besteht. Die mediale Blase, die in diesem Jahr in Szene gesetzt wurde, zielte auch in eine völlig andere Richtung. Angeschoben durch die Aussage von Bundeskanzler Schröder, es gäbe kein Recht auf Faulheit, entwickelte sich in allen meinungsbildenden Zeitungen eine sogenannte Debatte um die Faulheit der Deutschen. Während sich im Feuilleton die kritischen Geister als Pausenclowns des Bildungsbürgertums über das Ende der Arbeit und Alternativmodelle Gedanken machen durften, behauptete man im Haupt- und Wirtschaftsteil mit größter Selbstverständlichkeit, Arbeitslose müßten nur stärker „motiviert" werden, Arbeit zu suchen und sie würden nicht mehr der Allgemeinheit auf der Tasche liegen. Besonders betont wurde dabei, daß Arbeitslose unvernünftig handelten, nähmen sie eine Arbeit an, da der Abstand zwischen den schlechtbezahltesten Jobs und der Arbeitslosenhilfe zu gering sei. Deshalb müsse der Druck auf die Arbeitslosen verstärkt werden – nicht etwa ein Mindestlohn eingeführt werden.

Eine entsprechend restriktive Handschrift tragen die jetzt von Arbeitsminister Riester vorgelegten „Reformpläne zur Modernisierung des Arbeitsmarktes". Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sollen abgebaut und stattdessen die Integration in den ersten Arbeitsmarkt gefördert werden, zum Beispiel durch eine Ausweitung von Leiharbeit oder durch die Drohung bei Verweigerung, die Stütze zu streichen. Bis Ende 2002 will er Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe „verzahnen", die Arbeitslosenhilfe also wahrscheinlich abschaffen. Politik gegen die Arbeitslosigkeit ist eben auch unter der Federführung des ehemaligen IG Metall-Funktionärs Riester in erster Linie Politik gegen Arbeitslose. Die Pläne zur Reform des Arbeitsmarktes wurden im Bündnis für Arbeit ausgehandelt, werden also von den daran beteiligten Gewerkschaften mitgetragen. Das mag ihr offensichtliches Desinteresse am Entstehen einer Protestbewegung erklären.

Die Scheindebatte um die Faulheit dient ohnehin in erster Linie dazu, Arbeitende gegen Arbeitslose in Stellung zu bringen und umgekehrt. Schon jetzt tragen die staatlichen Instrumente zur Arbeitsförderung dazu bei, reguläre Arbeitsverhältnisse im sogenannten Niedriglohnsektor entweder überflüssig zu machen oder zumindest deren Bedingungen zu verschlechtern. Wenn Arbeitslose tatsächlich im großen Stil gezwungen werden, Arbeit unter allen Umständen anzunehmen, ist abzusehen, daß auch für die heute Arbeitenden die Löhne weiter sinken. Sollte es an dieser Stelle eine Verteilungsfrage geben, stellt sie sich weniger zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen, sondern zwischen Arm und Reich.

Trotz oder vielleicht wegen zunehmender Automatisierung, die menschliche Arbeit zunehmend überflüssig gemacht hat, dringt die Arbeit immer mehr in vormals private Lebensbereiche ein. Ist es nun Arbeit oder Privatleben, wenn eine heimarbeitende Mutter neben ihrem Telefoninterview noch ihr Kind beruhigen muß? Ist es Arbeit oder Privatleben, wenn der Yuppie, der seine Freundin während der Arbeit kennengelernt hat, weil er keine Freizeit hat, mit ihr abends im Bett noch die Probleme im Team bespricht? Die neuen Formen der Arbeitsorganisation machen eine Trennung zwischen Arbeit und Nichtarbeit immer schwieriger, sinniger wäre eine Unterscheidung von entlohnter und nicht entlohnter Zeit. Wobei die Grenze willkürlich gezogen wird und letztlich eine Frage von Machtverhältnissen ist.

Üblich wären an dieser Stelle Forderungen von unten an die Sozialpolitik, wie die nach einem Existenzgeld für alle. Nur, wer sollte die stellen ­ und an wen? Und wie sollte etwas derartiges durchgesetzt werden? Je rauer der Wind der sozialen Wirklichkeit weht, so scheint es, desto weniger ist so etwas wie Gegenwehr zu orten. Verbliebene kritische Geister ziehen sich zurück in geschützte Nischen. Im kleinen Kreise, im Salon, auf Tagungen oder an diversen Stammtischen forscht man schon seit Jahren nach gangbaren Wegen aus der Arbeitsgesellschaft. Hier wird zumeist ein mehr oder weniger zwangsläufiges Ende jener angenommen und die Vor- und Nachteile verschiedener Modelle einer „Postarbeitsgesellschaft" abgewägt. Dabei verlieren die Schwadroneure meist die gesellschaftliche Realität aus den Augen, weshalb die Frage nach einer möglichen Umsetzung in Zeiten neoliberaler Politik gar nicht erst gestellt wird. Unterdessen ist es chic geworden, sich zur Faulheit zu bekennen. Wie sonst könnten Veranstaltungen, wie neulich in der Volksbühne zum kommerziellen Erfolg werden ­ in der schönen bunten Warenwelt ist eben für jeden etwas dabei. Immerhin zeigt ein solcher Widerhall ein wachsendes Bedürfnis an Wegen jenseits des moderaten Arbeitslagers. Leider bleiben Konsumenten jedoch meist Konsumenten.

Søren Jansen

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