Ausgabe 05 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Schlachtfeld der Ideologien

Black Box BRD von Andres Veiel konfrontiert RAF und Staatsmacht

Im November 1989 fällt der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, einem RAF-Attentat zum Opfer. Wolfgang Grams, RAF-Mitglied der 3. Generation, stirbt im Juni 1993 unter bis dato nicht geklärten Umständen beim Versuch von GSG-9-Beamten, ihn zu verhaften. In seinem Dokumentarfilm Black Box BRD zeichnet Andres Veiel das Doppelportrait zweier ungleicher Männer: der Karrierist Herrhausen, einer der einflussreichsten Männer der Bundesrepublik auf der einen Seite, der Aussteiger Grams, der dem System schließlich nur noch mit Gewalt begegnete, auf der anderen.

Weggefährten und Familienmitglieder sprechen in Parallelmontagen über die beiden Antipoden. Während bei dem Top-Manager der Wille nach Selbstverwirklichung und sozialem Aufstieg dominiert, erscheint die Totalverweigerung bei Grams vor allem als Rebellion gegen die Generation des Vaters, eines Freiwilligen der Waffen-SS. Ein Privatvideo zeigt den aus einfachen Verhältnissen stammenden jungen Herrhausen mit seiner ersten, wohlhabenden Frau im bürgerlichen Eheglück. Damit kontrastieren Aufnahmen eines am Strand meditierenden jugendlichen Grams, dem der Zusammenhalt mit seinen (Gesinnungs-)Gefährten stets wichtiger war als beruflicher Erfolg.

Trotz grundsätzlicher ideologischer Differenzen weist der Lebensweg der zwei Männer jedoch auch erstaunliche Parallelen auf. Eine zunehmende Radikalisierung in ihren Forderungen, etwa nach Entschuldung der Länder der Dritten Welt beim Bankier oder die Hinwendung zur Gewalt beim zukünftigen Terroristen führen die beiden in wachsende Isolation.

Eingebunden werden die Biogra-phien in den geschichtlichen Kontext: So stehen Herrhausen und Grams stellvertretend für zwei sich feindlich gegenüberstehende Lager, die ihren Ursprung in nicht bewältigter deutscher Geschichte hatten und die Bundesrepublik in den siebziger Jahren zum Schauplatz bürgerkriegsähnlicher Zustände machten.

Zusätzliche Brisanz erhält der Film durch die Aufnahme des ominösen Joschka-Fischer-Prügelvideos unddurch Bilder der Beisetzung des RAF-Mitglieds Holger Meins im Jahre 1974, an dem der damalige RAF-Anwalt und heutige Innenminister Schily teilnahm. So schlägt der Film eine Brücke zur heutigen Diskussion über die Legitimität und Glaubwürdigkeit von einstigen Rebellen und heutigen Würdenträgern, die den Pfad der gesellschaftlichen Integration längst beschritten haben.

Dem Regisseur gelingt mit „Black Box BRD" das Kunststück, neben aller Aufklärungsarbeit das titelgebende Mysterium seiner Akteure zu erhalten. Dabei enthält er sich jeglicher Wertung, zeigt die Trauer und den Schmerz der Familienangehörigen eindringlich, verfällt nie in ein Täter-Opfer-Schema. Mit Berichten von Zeitzeugen, deren Liebe oder Sympathie für die beiden Protagonisten ungebrochen ist, schafft er ein so beeindruckendes wie ausgewogenes Portrait, das den Betrachter mit Vertretern beider Lager mitfühlen lässt. Am Ende der Dokumentation über ein brisantes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte wird vor allem eines deutlich: der menschliche Verlust.

Kira Taszman

Black Box BRD, Dokumentarfilm;
D 2001; R: Andres Veiel
Kinostart: 31. Mai

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 05 - 2001