Ausgabe 05 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Lichthof zur Hölle

Plaza Frankfurter Allee: Ein Platz mit Leben

An einem frühen Sonntagabend gegen Winterende sind wir zum ersten Mal hier durchgegangen. Es war Zufall, gemischt mit dem eiskalten, durch die natriumgelbe Schneise der Frankfurter Allee Richtung Fernsehturm blasenden Ostwind, daß es uns in die offenen Flügel der Passagentür trieb. Unvorbereitet und durchgefroren betraten wir den beheizten Bereich, zwischen einem verspäteten Schwimmhallenbesuch und einem später beginnenden Kinofilm. Die Ladenzeile, die zum Lichthof führt, war schnell durchschritten. Die Schaufenster warfen unseren finsteren Widerschein zurück. Nur wenig heller wurde es, als wir das Innere erreichten. Hier trennten Raumteiler die unbenutzte Leere. Im Zentrum standen Frau und Mann, gebeugt über ein Edelstahlgeländer, mit seligmachenden Getränken, die sie dezent in gelben Netto-Tüten bargen.

Sechs Wochen später bin ich wieder hier, jetzt ist ein Wochentag, die Läden sind geöffnet. Nun will ich diesen Ort bei Licht betrachten, um zu sehen, welche Menschen sich hierher verirren, und warum. Am Eingang lese ich den Leitspruch dieses Ortes: "Ein Platz mit Leben", und vorsichtshalber lese ich die Hausordnung. "Ein Platz mit Leben": da denkt der Mensch doch gleich an einen "Platz zum Leben", aber das haben die Eigentümer der Fundus-Gruppe nicht im Sinn. Sie möchten klarmachen, daß es hier um etwas anderes geht; um Leben geht es auch, aber nur AUCH, und den Anteil bestimmen sie. Zum Beispiel mit der Hausordnung.

Die Logik des Gebäudes erschließt sich schnell: die Passanten werden von den Wühltischen mit Sonderangeboten an der Frankfurter Allee durch deutliche Hinweise und Schilder ins Innere gelockt. So weiß Hausgeräte-Ruder zu verkünden, daß seine Kühlschränke und Waschmaschinen im Lichthof auf mich warten. Na wenn das nichts ist. Also hinein ins steinumrankte Ambiente, an wuchtigen schwarzen Säulen vorbei, und immer die Erkenntnis im Hinterkopf, daß es sich hierbei nicht um einen Ort des unbeschwerten Daseins handelt. TUI, Fielmann und Sconti empfangen mich, daneben ein namenloses Friseurgeschäft, ein Backwarenverkaufsstand und der Asia-Imbiss für den kleinen Hunger zwischendurch.

Nachdem ich die mäßig besuchte Passage hinter mir habe, stehe ich endlich im Zentrum der Anlage, dem "Lichthof". Vier Gasthäuser buhlen um die Gunst der Kundschaft, die aber nur im "Bauernlümmel" ausreicht, um zur Mittagszeit wenigstens ein Viertel der Plätze zu füllen. Bis auf das thailändische Restaurant haben alle Betreiber ihren "Außenbereich" mit Korbmöbeln bestückt und mit Plasteblumen an spanischen Wänden, die an Obi- oder Stinnes-Gartenabteilungen erinnern, nur daß dort die Pflanzen echt sind. Hier sind es abwischbarer Efeu, Hopfen, Mohn, Kornblumen und Geranien oder Pelargonien. Auf dem Speiseplan des "Bauernlümmel" stehen heute: Broccolisuppe und deftiger Grillschinken mit Sauerkraut. Die Kellnerin serviert in rustikaler Kleidung: kurzärmeliges helles grobkariertes Hemd mit Rüschen, mistbraune Kordhose und breiter schwarzer Ledergürtel.

Die Akustik des 6-stöckigen Innenhofes ist gedämpft. Zieht man das Rauschen der Lüftung ab, gleicht sie der einer Kathedrale. Das leicht tonnenförmig gewölbte Dach erinnert an eine Bahnhofshalle, nur fährt hier kein Zug ein, der mich fortbringt.

Verglaste Fahrstühle lassen die Ecken des Raumes mobil erscheinen. In einer Ecke gibt es ein Hotel. Die Quelle-Fundgrube wird gerade mit neuem Sondermüll beliefert, in dessen Ausdünstungen die Verkäuferinnen gelangweilt die vom Ramsch verführte Kundschaft ertragen. In zentraler Lage der Publikumsmagnet: die Post. Ich fahre mit einem Fahrstuhl bis zum sechsten Stock, von wo aus ich den Hauptstrom der Besucher gut erkennen kann: fast alle, die es hier hereintreibt, müssen zur Post. Jawohl, sie MÜSSEN, denn wo gibt es heutzutage eine Post?

Etwas überrascht mich: im gesamten Gebäude kann ich keine Kameras entdecken. Dafür gibt es einen prägnanten Wandschmuck: eine Rosette in Form einer Zielscheibe. Was will uns der Bauherr damit sagen? Vielleicht: "Du gehörst zur Zielgruppe, miete doch zum Beispiel den Mietbereich K6. Der gereinigte Bereich ist verschlossen seit dem 25.9.1997 und kann nur durch die Firma Landis&Gyr geöffnet werden." Wahrscheinlich gibt es diese Firma gar nicht mehr. Darum hat auch keiner einen Schlüssel, um den Bereich zu öffnen.

Im Zentrum des Hofes führt ein Treppenrondell und ein Fahrstuhl zum Parkhaus mit 700 Stellplätzen. Am Edelstahlgeländer stehen schweigend eine Frau und ein Mann, sie haben ihre Netto-Tüten abgestellt. Was ist drin?

Niemand, der bei Verstand ist, kommt hierher, weil er sich diesen Ort gewünscht hätte; ich verlasse ihn wie schon einmal im Winter, durch den Ausgang, den der Architekt benutzt, durch die Hintertür zur Voigtstraße. Wir waren unterwegs ins Kino und zufällig hierher geraten. Beim Hinausgehen sahen wir uns an und meine Freundin sagte: "Das ist die Hölle".

Kai Pohl

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  Ausgabe 05 - 2001