Ausgabe 05 - 2001 berliner stadtzeitung
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Schöne neue alte Stadt

„New Urbanism" in der Berliner Städtebaudiskussion – ein Interview mit Werner Sewing

Seit die Bebauung des Tacheles-Areals durch die Architekten Duany Plater-Zyberk ins Gespräch gekommen ist, wurde in Berlin der New Urbanism zum Thema. Im Rahmen der „Architekturgespräche" der Senatsbauverwaltung diskutierte man sogar darüber, ob er nach Europa übertragbar sei. Was heißt New Urbanism?

Der New Urbanism ist in Amerika eine Antwort auf die Suburbanisierung, auf die Entstehung von Vorstädten, die keine städtischen Qualitäten mehr haben. Durch den Bau neuer Vorstädte nach der Struktur historischer Kleinstädte beansprucht er, wieder städtische Qualitäten zu erreichen. An der historischen Kleinstadt orientiert sich der New Urbanism nicht nur formal, sondern durch neotraditionalistische Architektur auch ästhetisch.

Ihr Kollege Harald Bodenschatz meint, der New Urbanism erzeuge in der Städtebaudiskussion eine neue Aufmerksamkeit für Prinzipien wie Funktionsmischung und soziale Durchmischung.

New Urbanism fördert nicht die soziale Durchmischung. Laut Harald Bodenschatz wird der New Urbanism von den Mittelschichten getragen. 80% der amerikanischen Bevölkerung definiert sich als Mittelschicht, dem New Urbanism steht jedoch nur ein bestimmtes oberes Segment von ihr nahe. Zunächst müssen die Bewohner der Siedlungen wohlhabend genug sein, da das Wohnen hier sehr teuer ist. Außerdem gehören die Träger dieses Gedankens meist einer hochqualifizierten Akademikerschicht an, die teilweise ökologisch orientiert ist und gleichzeitig bestimmte konservative Vorstellungen wie Familie und Ordnung trägt. Es wird signalisiert, dass nur diejenigen, die dieses Gedankengut unterstützen, hier leben dürfen. Der New Urbanism ist ein Exklusions- und kein Inklusionsmodell.

Der Titel New Urbanism suggeriert, es handele sich um eine Reformbewegung für einen ganz neuen Städtebau. Was ist in Europa das Neue am New Urbanism?

Im Grunde genommen ist das ein Ettikettenschwindel. New Urbanism ist historisch gesehen ein Nebenprodukt der europäischen städtebaulichen Postmoderne. Diese beinhaltete die Wiederentdeckung der historischen Stadt, Restauration statt Abriss oder eine Orientierung am alten Grundriss. Deren Altmeister, die Gebrüder Krier aus Berlin bzw. London, haben diese städtebauliche Haltung nach Amerika gebracht. Duany Plater-Zyberk sind Leon-Krier-Schüler. Das gerade Vertraute am New Urbanism ist unser europäisches Erbe. Es gibt verblüffende Ähnlichkeiten zwischen New-Urbanism-Projekten in amerikanischen Innenstädten und Bauprojekten von Prince Charles in London. Bei Innenstadtplanungen ist nicht das Kleinstadtmodell Vorbild, sondern in der Regel die historische Stadt der frühen Neuzeit oder etwa das Paris des Baron Haussmann. New Urbanism in den Innenstädten ist nichts genuin Amerikanisches, jedoch sind die Amerikaner großzügiger im Zitieren. Sie greifen opulenter in die Ornamentkiste als die Europäer und erreichen somit disneyhafte Inszenierungsqualität.

Ist der New Urbanism eine konservative Spielart der Postmoderne?

Er ist eine besonders unintelligente Spielart. Die Postmoderne postulierte den Rückgriff auf historische Architektur, die jedoch neu zu interpretieren sei ­ mittels einer zeitgemäßen Architektursprache oder des Prinzips der Collage. Der New Urbanism hingegen verzichtet bewusst auf jegliche Kreativität. Er reimaginiert einfach historische Formen. Man könnte von einer populistischen Variante der Postmoderne sprechen. Außerdem entfällt jegliche kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte ­ eine kulturelle Botschaft, die für den Städtebau verheerend wäre...

Im Rahmen der Podiumsdiskussion „New Urbanism am Tacheles" wurde immer wieder positiv hervorgehoben, dass man nun endlich über Neotraditionalismus sprechen könne, ohne dass diese Position unmöglich gemacht würde. Meinen Sie, dass die Debatte um den New Urbanism das Berliner städtebauliche Leitbild der „kritischen Rekonstruktion" beeinflusst?

Ja. Auf das Podium hatte man ausschließlich Fürsprecher des New Urbanism eingeladen. Dass ausschließlich positiv über Neotraditionalismus gesprochen wurde, passt in die aktuelle Berliner Städtebaudiskussion, in der der Wiederaufbau nichtexistenter historischer Gebäude mittlerweile permanent Thema ist. Die Kommandantur wird rekonstruiert ­ die Bauakademie und das Schloss sind noch umstritten. Rainer Haubrich, Architekturkritiker der „Welt", resümierte auf dem Podium: „Die kritische Rekonstruktion war nicht Rekonstruktion genug". Bereits vor zehn Jahren war diese Tendenz auszumachen. Damals wurde sie jedoch noch weniger artikuliert und wurde von den kritischen Rekonstrukteuren meist ausgebremst. Inzwischen wird sie immer vehementer und offener vertreten ­ auch die Baupolitik von Senatsbaudirektor Hans Stimmann scheint sich ihr anzunähern. Zum Beispiel untescheidet sich das Projekt an der Friedrichswerderschen Kirche von Stimmannprotegé Tobias Nöfer kaum vom New Urbanism ­ und auf dem nächsten Kongress der New Urbanists wird Stimmann wohl eine Rede halten. Insgesamt herrscht ein kulturelles Klima, dass dieses „Zurück in die Vergangenheit" fördert, ein Zeichen für kulturelle Stagnation. Das Tacheles ist kein „Ausreisser", sondern ein Indiz für eine immer verbreitetere Haltung. Es wäre wichtig, jetzt darüber zu diskutieren, bevor sie unmerklich in den Common Sense übergeht.

Hans Stimmann, der ja für die Besetzung des Podiums verantwortlich war, vertrat doch in der Vergangenheit keine neotraditionalische Position.

Hans Stimmann selbst ist kein Neotraditionalist, er steht für die rationalistischere Richtung der kritischen Rekonstruktion. Jedoch äußerte er sich in den letzten Jahren mehrfach zu den Grenzen dieses Ansatzes – vor allem hinsichtlich der Sprödigkeit und fehlenden Sinnlichkeit der gebauten Resultate. Die Friedrichstraße ist kein Publikumserfolg. Mein Eindruck ist, dass er auf diesem Podium andere ausloten ließ – ob zum Beispiel ein Zulassen von mehr Ornamentik populärer wäre. Eine Rolle mag dabei ein Paradigmenwechsel in der Baupolitik spielen, die in den letzten zehn Jahren vorwiegend auf Architekten ausgerichtet war. Mittlerweile wird die Position der Investoren stärker, die des Senats hingegen schwächer. In diesem Zusammenhang wird es für die Baupolitik wichtiger, eine populistischere Architektursprache zu kodifizieren.

Sie sagten einmal: „Neotraditionalismus verspricht mehr als ästhetische Gegenmoderne, er verspricht eine Rückkehr zum Ideal der schönen Stadt und die Wiederherstellung von Gemeinschaft." So wolle man die Wunden von Suburbia heilen. Sehen Sie Parallelen zum Planwerk Innenstadt, das ja auch vorgibt, sowohl Wunden am Stadtkörper zu heilen als auch eine neue Stadtbürgergesellschaft zu etablieren?

In den USA wurde durchaus beobachtet, was in Berlin geschieht. Bereits Mitte der 90er Jahre brachte das Themenheft der Zeitschrift „The City", die von den New Urbanists herausgeben wird, einen ausführlichen Bericht über den Berliner Städtebau. Die Verwandtschaft ist gesehen worden.

Der New Urbanism verspricht mit der geheilten Stadt eine geheilte Gesellschaft, ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl und eine stärkere Nachbarschaft. Die These, dass ein bestimmter Städtebau eine bestimmte Gesellschaft fördere, wurde übrigens oft untersucht und immer widerlegt. Auch New Urbanism-Projekte in den USA weisen keine intensiveren Nachbarschaftsstrukturen als die Suburbia auf. Ebenso ist die Stadtbürgergesellschaft des Planwerks eine Fiktion, zudem ­ da das Planwerk sich auf Stadtgeschichte bezieht ­ eine unhistorische. Berlin hatte, im Gegensatz zu Hamburg etwa, niemals die Tradition einer Stadtbürgergesellschaft. Und die Wunde am Stadtkörper, die das Planwerk zu heilen verspricht, ist vor allem der „geschichtliche Störfall" der Moderne, in erster Linie der modernen DDR-Architektur. Beim New Urbanism ist es die „wuchernde" Suburbia.

Die „Stadt als Organismus", den man heilen könne, entspricht der Metaphorik des Städtebaus des Kaiserreiches. Die Metaphorik der Nazis vom gesunden und kranken Volkskörper hatte hier ebenfalls ihr Wurzeln. Es ist gänzlich unadäquat, eine Stadt mit einem Organismus zu vergleichen, der erkrankt.

Sie deuteten vorhin an, dass die immer öfter behauptete historische Orientierung sich nicht wirklich auf die Berliner Geschichte bezieht.

In vielen Fällen ist sie ein Idealbild, das mit der Geschichte Berlins nichts zu tun hat. Die Geschichte des Potsdamer Platzes ist ein Mythos, ein Johannisviertel auf dem Tacheles-Areal hat es nie gegeben, das Adlon ist nicht das Adlon. Das geht in Richtung amerikanischer Themenparks. Wir haben uns eine derart neue Geschichte konstruiert, dass die reale Geschichte verschwindet. 50 Jahre neuere Geschichte werden schlicht ignoriert: die geteilte Stadt, die Mauerstadt, die Stadt des kalten Krieges. Diese Form von Geschichtsbeseitigung geht einher mit der Imagination einer geschönten Geschichte.

Werner Sewing hat einen Lehrstuhl für Architektursoziologie an der TU-Berlin.

Interview: Tina Veihelmann

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