Ausgabe 05 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Kameraden unter Bürgern

Disziplinierte Hetze der NPD am 1. Mai in Hohenschönhausen

Bei ihren Forderungen wurden die Rednerstimmen auf der kleinen LKW-Bühne hart: „Mehr soziale Sicherheit! Mehr Arbeitsplätze! 1000 Mark Kindergeld! Bestrafung aller Kosovo-Verantwortlichen! Kampf gegen das internationale Kapital! Globalisierung ist Völkermord! Argumente statt Verbote!" Manchmal mochte man den Ohren nicht trauen bei der von 2000 Polizisten kompakt umfassten Demonstration der neofaschistischen NPD am 1. Mai in Hohenschönhausen. So weit haben die Neonazis ihre Rhetorik inzwischen an Volkes Unwohlsein angepasst, dass unter anderem Vorzeichen selbst radikale Linke einigen Parolen zustimmen würden. Höflich wenden sich die „Kameraden" an die „lieben Bürger". Sie appellieren an das soziale Gewissen der Staatsapparate, verkünden antiimperiale Ideen, fordern gewaltfreie Konzeptionen, Rücksicht auf Minderheiten und Selbstbestimmung für kleine Ethnien. Das könnte wirken auf die Leute. Die paar hundert Gegendemonstranten pfiffen nach Kräften dagegen an. Zum Teil pfiffen sie dabei eigene Losungen aus. Denn die Gräten im Gastmahl der NPD lagen dazwischen kaum verborgen. Kindergeld? Oh ja, doch nur „für jedes deutsche Kind". Arbeitsplätze? „Zuerst für Deutsche". Ausländern wird „Abschiebung statt Integration" angekündigt. Antiimperialismus? Ja gern, die NPD stören nämlich die „amerikanischen Besatzungssoldaten" im Lande, die sie an den gescheiterten Feldzug des Führers erinnern. Ein regionales Europa? Jawohl, aber eines der „Vaterländer" (und Muttersprachen?) nach dem Schema „England den Engländern, Albanien den Albaniern, Deutschland den..." usw. Die Transparente der NPD-Anhänger zeugen von alten Leit- und Feindbildern, auch sie sind möglichst bürgerkompatibel gewählt: Sie streiten „gegen roten Terror" und wider eine „zionistische one-world". Für „Kinderschänder" fordern sie die Todesstrafe.

Symbole im Handumdrehen

Mit fast schon lächerlicher Häufigkeit dringen immerfort zwei Worte durch die Reden: „deutsch" und „national". Der Sinn solch verbaler Penetranz ist eindeutig: Sie soll das unklare, historisch belastete „Deutsche" wieder als Maßstab und Argumentationsmuster in der Öffentlichkeit einschleifen. Auch fiel in Hohenschönhausen auf, wie virtuos die NPD-Organisatoren sich immer neuer öffentlicher Symbole bemächtigen. Da das Gericht der NPD nur fünf Parteifahnen erlaubte, führten ihre Scholaren die eigentlich neutralen Landesflaggen von Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt mit sich. Die sind nun von den Rechten politisch vorgeprägt, ja beschmutzt, für andere nur noch eingeschränkt verwendbar. Auf diese Weise, so wird klar, können die Rechten im Handumdrehen fast jeden Gegenstand und Ort der Stadt zu ihrem Symbol umwidmen und für andere belasten. Eine Gefahr, vor der es fast keinen Schutz gibt außer den von Gegenaktionen an gleichem Ort und Gegenstand.

Durchs offene Fenster

Noch immer besteht das neofaschistische Milieu vorrangig aus heranwachsenden, kurzgeschorenen Burschen. Sie bringen zum Teil ihre Freundinnen mit, meist unauffällige Mädchen, die der Uniformierung ihrer Begleiter nicht folgen. Aber es mischen sich auch etliche Vertreter der allseits umworbenen „Neuen Mitte" ­ in vorgerücktem Alter sowie mit Schlips und Kragen ­ unter die Jungs.

So breitet sich das Milieu schleichend aus: Anders als das linksradikale existiert es in Stadt und Land sowie in verschiedenen sozialen Schichten, und über die Familiengründung greift es demnächst vielleicht auch auf neue Generationen über.

Angesichts der gerichtlichen Verlegung der Demonstration nach Hohenschönhausen hatte der heimische Bürgermeister beklagt, die Ortswahl bekräftige erneut das falsche Klischee einer Neonazihochburg am östlichen Stadtrand. Wirklich kamen die meisten NPD-Verfechter aus dem Brandenburger Umland und wurden mit Sonder-S-Bahnen hernach wieder nach Schönefeld und Bernau geleitet. Immerhin aber gelang der NPD hier vor Ort, die Direktübertragung der Kundgebung in nahegelegene Wohnungen von Sympathisanten zu organisieren, die ihrerseits per Lautsprecher durchs offene Fenster die Auftritte im ganzen Umkreis verschallten. Dagegen schritten weder die aus den Fenstern hängenden Nachbarn noch die Polizei ein. Im Übrigen gaben die Neofaschisten ihrem Ruf nach Disziplin und Ordnung ein untadeliges Beispiel.

Teile und Vorurteile

Die an diesem Tag bemerkenswert unaggressiven Beamten bewachten die Rechten, ließen die Gegendemonstranten aber weitgehend gewähren. Es schien, dass diesmal die meisten den Neofaschisten und ihren hetzenden Reden nur ungern als Schutzschild dienten und nur höherer Befehlsgewalt sich fügten. Die Folge dessen könnte freilich sein, dass sie eines Tages ihre Befehle von eben diesen Neofaschisten erhalten. Die von Innensenator Werthebach, den Gerichten und vielen Bahnpatrouillen durchgesetzte Trennung der linken und rechten Demonstranten am 1. Mai hat wahrscheinlich geholfen, Schlägereien und damit eine politische Zuspitzung auf das einschichtige Muster von Links und Rechts zu ver-meiden.

Trotzdem ficht es die Glaubwürdigkeit der angeblich so widerständigen antifaschistischen Bevölkerung in Berlin erheblich an, wenn sich die Neofaschisten in Hohenschönhausen schließlich sogar in der Überzahl befinden, während ihre Widersacher entweder zu Hause oder am Waldsee sitzen oder auch in Kreuzberg ihren eigenen Selbstversicherungsritualen nachgehen. Von nur zwei Protest-Transparenten hat eines die Gegendemonstranten noch eher blamiert: Der Spruch „Arbeit sind Scheisse" sollte wohl die hiesigen Vorwürfe gegen Ausländer ironisieren. Doch bediente diese Art der Satire nur das Vorurteil von unseriösen Linken. Das andere sprach immerhin Bedenkenswertes aus: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen."

Stefan Melle

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