Ausgabe 05 - 2001 berliner stadtzeitung
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Auf den Hund gekommen

Vertreibung von Problemgruppen am Helmholtzplatz

Der Helmholtzplatz galt lange Zeit als der proletarische und verlotterte Teil von Prenzlauer Berg. Im Schatten der Aufwertung hatte der Helmi sogar den Ruf, so etwas wie das Gegenstück des schicken Kollwitzplatzes zu sein. Während dort bereits Anfang der Neunzigerjahre intensiver modernisiert wurde und auch der Platz selbst ein neues Gesicht bekam, schien am Helmholtzplatz die Zeit stehen geblieben zu sein. Zur Olympiabewerbung versprochene Gelder für die Platzsanierung wurden nach der für die Stadtelite peinlichen Niederlage nicht gezahlt und unterlagen den jährlichen Finanzierungsvorbehalten des Senats. Entsprechend konnte sich auf dem Platz eine Szene halten, die an anderen Stellen der Innenstadt längst von der Bildfläche verdrängt war: Trinker, Punks und Obdachlose. Bereits zu DDR-Zeiten gehörten sie als fester Bestandteil zur Nachbarschaft um den Platz. In den letzten Jahren entwickelte sich hier ein Refugium für viele, die an anderen Orten der Stadt nicht mehr erwünscht und geduldet waren. An freundlichen Sommertagen versammelten sich bis zu 50, 60 Leute ­ und manchmal fast ebenso viele Hunde ­ um das alte, nicht mehr genutzte Trafohaus.

Das sollte sich ändern, denn der Berliner Senat entdeckte nach jahrelangen Metropolenphantasien etwa im Sommer 1998 die „andere Seite der Stadt". Während die rechten Populisten über Dreck und Ratten herzogen oder die Kenntlichkeit Deutschlands in ganzen Stadtteilen anmahnten, erfand die Sozialdemokratie die gute alte „Mischung" des Polizeibaumeisters Hobrecht aus der Kaiserzeit wieder. In Studien, Erklärungen und Interviews wurde der Verlust eben dieser „Berliner Mischung" beklagt und sogenannte Problemviertel entdeckt. Das Hauptproblem der Armut sei weniger die schlechte wirtschaftliche Lage und der Rückzug des Staates aus seinen bisherigen Fürsorgefunktionen, sondern die Konzentration von Armen in bestimmten Gegenden der Stadt. Hilf- und willenlos aneinander gekettet würden bei den Ausgegrenzten die städtischen Potentiale der Vielfalt, des Lernens und der gegenseitigen Ermutigung nicht mehr greifen. Armut in der falschen Wohngegend würde so zu einem Teufelskreis der Verelendung. Die Lösung war eine einfache: das Quartiersmanagement. Mit professioneller Unterstützung und der Konzentration von öffentlichen Geldern für die Verbesserung des Wohnumfeldes sollten Problemgebiete für die Mittelschichten attraktiv bleiben und zugleich durch ein mehr an Beteiligung eine höhere Gebietsidentifikation schaffen.

Auch der Helmholtzplatz bekam den staatlichen Stempel eines Problemverdachtgebietes und ein Quartiersmanagement. Zentrales Problem der Gegend wäre der unsanierte Platz. Einige rei-ßerisch aufgemachte Zeitungsberichte taten ein übriges, um das Bild einer Ostbronx zu zeichnen: Drogendealer und Straßenkinder, Alkoholkranke und Behinderte. Das neue Image des Platzes schaffte einen schnellen Handlungsbedarf und so wurde die längst fällige Erneuerung des Platzes beschlossen und als Erfolg in der Öffentlichkeit verkauft. Ein Platz für alle sollte es werden. Ein Platz, wo Kinder ohne Angst vor bissigen Hunden und Heroinspritzen im Sand spielen, wo Nachbarn sich treffen können, ein Platz wo selbst in der Nacht niemand Angst zu haben braucht. Ein Platz, für alle eben. Eine Gruppe fehlte in den Zukunftsvisionen der neuen Platzherren: diejenigen, die ihn bisher benutzten. Von der Betroffenenvertretung darauf angesprochen stellte sich dieses „Vergessen" als ein Versehen heraus: Niemand will die bisherigen Platznutzer vertreiben! So jedenfalls die Aussagen. Damals.

Doch die Realität sieht anders aus. Ein Kinderspielplatz ist nun mal ein Kinderspielplatz und eine Liegewiese eine Liegewiese. Und das Platzhaus sollte eben auch ein Platzhaus für alle sein und nicht nur für eine Gruppe. Jetzt ist der Platz fast fertig, einen speziellen Ort für die bisherigen Nutzer gibt es nicht: Konflikte mit anderen Platznutzern scheinen vorprogrammiert. Doch damit nicht genug. Ein Hundeverbot soll auf dem ganzen Platz gelten. Schließlich sei der Nutzungsdruck auf den neuen Grünflächen auch so groß genug. Das Grünflächenamt, die Umweltstreifen des Bezirks und die Polizei haben bereits angekündigt, die Platzordnung durchzusetzen. Ein Zaun, der mit wenigen Ausnahmen um den gesamten Platz aufgestellt wird, soll das unterstützen. Das damit auch die Gruppe der Hundebesitzer vom Platz ausgeschlossen wird, erscheint als liebgewonnener Nebeneffekt. Denn, in der Öffentlichkeit gilt immer noch: Niemand will die bisherigen Platznutzer vertreiben!

Auch die von der Polizei im letzten Sommer erstmalig direkt am Platz angewandte Berliner Straßenordnung, die das Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit untersagt, wurde nicht etwa wegen der von vielen ungeliebten „Problemgruppen" ausgegraben. Nein: Auch die Polizei will hier niemanden vertreiben!

Einzig und allein die Stadträtin für Soziales, Ines Saager (CDU), sprach da klare Worte. Nun gut, nicht in der Öffentlichkeit, aber gegenüber den Freien Trägern, die sich mit ihrer Sozialarbeit um die Platznutzer bemühen. Als eine der letzten Amtshandlungen vor der Bezirksfusion wurden die Auftragnehmer des Bezirksamtes Ende letzten Jahres auf eine neue Linie verpflichtet. Angebote für die Klientel sind von nun an außerhalb des Platzes anzubieten und zu schaffen. Die in der finanziellen Abhängigkeit erzwungene Zustimmung für diesen Wechsel der Arbeit wurde für alle Beteiligten mit einer zusätzlichen Stelle belohnt. Aber natürlich will niemand die bisherigen Platznutzer vertreiben!

Doch erst, wenn im Juli die bisher abgesperrte Platzhälfte eröffnet und der letzte Bauabschnitt seiner Bestimmung übergeben wird, zeigt sich, ob diese Pläne tatsächlich so aufgehen, ob sich die Verbote einfach durchsetzen lassen ­ oder ob es doch noch ein Platz für alle wird.

Andrej Holm

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