Ausgabe 04 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Im Dickicht der Texte

Mit Ron Winkler ist die Literaturzeitschrift „intendenzen" von Jena nach Berlin gekommen

Welche Poetik haben die Anfang der siebziger Jahre geborenen Lyriker? Haben sie überhaupt eine? Man möchte das bezweifeln, wenn einer, Björn Kuhligk, in einem „Manhattan" überschriebenen Gedicht vom „Endlos-Soundtrack der Krankenwagen" schreibt. Ron Winkler jedenfalls wollte es genau wissen und hat für die jüngste Ausgabe seiner „intendenzen" („poesie und poetik") eine ganze Reihe junger Lyriker um poetologische Stellungnahmen gebeten. Die große Bereitschaft dazu hat Ron Winkler, der in der Zeitschrift auch selbst als Lyriker präsent ist, überrascht. „Das Gedicht muss Dickicht sein", fordert er in seinem Editorial, „das Gedicht irrgeistert im Gewand der Mutmaßung durch alle Tableaus der Sprache und nimmt sich der Zustände an."

In den neuen „intendenzen" begegnen wir nicht nur dem glatten Kuhligk oder dem betulichen Jan Wagner, der ­ einigermaßen reaktionär ­ ein Loblied auf die „gelungene Metapher" singt, sondern auch Autoren, die sich wirklich im Dickicht bewegen: Crauss etwa mit seinen literarischen Remix-Techniken oder Ulrike Draesner, die über ihre Konzeption von „postlyrics" schreibt. Wahrnehmung, so Draesner, erzeuge Spracherzeugung, und diese Art von Welt- und Realitätsbezug ist vielleicht auch der kleinste Nenner, auf den man Ron Winklers Poetik bringen kann. Er sucht nach Texten, die „Gegenwart verarbeiten", in denen es um „Weltwahrnehmung" geht. Deshalb findet man in den „intendenzen" auch so unterschiedliche Autoren wie Crauss, Kuhligk, Hendrik Jackson oder Petra Nachbaur. Häufig antwortet das Dickicht der Texte auf das der Städte. Es ist auffallend, dass viele der in den „intendenzen" vertretenen Autoren an dem Projekt einer Art zeitgenössischer Großstadtliteratur zu arbeiten scheinen, nicht zuletzt auch Winkler selbst. Heft 5 stand unter dem Motto „urban shocks. stadt raum traum trauma text".

Als 1997 die ersten „intendenzen" erschienen, war Ron Winkler noch Student in Jena. Die Zeitschrift war zunächst auch nicht auf Literatur beschränkt, war als Experimentierfeld für das kreative Potenzial von Jena gedacht; es gab in der Stadt damals keine richtige Literaturzeitschrift. Eine provinzielle Unternehmung waren die „intendenzen" in Jena aber nicht. Zu den Autoren aus Jenaer Kreisen gesellten sich bald Texte von Autoren aus Berlin, Österreich und der Schweiz, auch bekannte Namen wie Friederike Mayröcker oder Reinhard Jirgl. Ron Winklers Absicht war es, die Hefte den Studenten in Jena „zum Fraß vorzuwerfen", eine möglichst große Öffentlichkeit damit zu erreichen. Dazu mussten die „intendenzen" kostenlos sein, und das wird bis heute ­ bei wechselnder Finanzierung ­ so gehalten. Von Anfang an war das Layout minimalistisch, nichts sollte von den Texten ablenken. Die graphischen Arbeiten, die es in den „intendenzen" auch gibt, stehen immer für sich, sind nicht dazu bestimmt, die Texte visuell aufzupeppen. Ohne optischen Firlefanz kommt auch die Internet-Seite der „intendenzen" aus, die eine Auswahl der Primärtexte, Rezensionen und graphischen Arbeiten verfügbar hält.

Ron Winkler macht keinen Hehl daraus, dass er so richtig und überzeugt eigentlich nur hinter der aktuellen Nr. 7 der „intendenzen" steht. Vieles würde er heute anders machen, einige Texte nicht mehr bringen. Vielleicht ist das aber auch die Voraussetzung dafür, dass es wieder ein nächstes Heft geben wird; es muß alles anders und besser werden. Schließlich seien die „intendenzen" auch eine Art „Trainingslager". Die Nr. 8, davon kann man wohl ausgehen, wird es dann im Herbst geben.

Florian Neuner

Die „intendenzen" findet man u.a. in Juliettes Literatursalon in der Gormannstr. 25 und bei NN Bücher in der Kastanienallee 85. www.intendenzen.de

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