Ausgabe 04 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Brüderlein und Schwesterlein

Andrea Weiss und Wieland Speck haben für die Erika und Klaus Mann Story die Archive geplündert

Interviewer: „Wann habt Ihr Deutschland verlassen, und unter welchen Umständen? Was habt Ihr gedacht dabei? Wusstet Ihr, dass Ihr Euer Land lange, lange nicht wiedersehen würdet?"

Erika: „Wann werden wir es wiedersehen?"

Der Interviewer: „Ich bin es, der hier die Fragen stellt, nicht Du ..." Ein Zug rattert, rast qualmend am Betrachter vorbei. Die spielerisch ironischen Textfetzen sind leichtfüßig in das Rattern eingebunden. Das Interview, das so nie stattgefunden hat, ist dem Band „Escape to Life, Deutsche Kultur im Exil" der Geschwister Erika und Klaus Mann entnommen. Dieses Buch erschien im April 1939 im amerikanischen Exil und wurde erst 1991 dem deutschen Leser zugänglich gemacht. Spät und spärlich erfolgt die Anerkennung der Geschwister. Der Makel, im Schatten des berühmten Vaters zu stehen, traf vor allem den Sohn. Schon in den zwanziger Jahren wurde Klaus Mann im deutschen Feuilleton belächelt, unter anderem von Bert Brecht verspottet. Tatsächlich wagte sich der Autor bereits 25jährig an eine Autobiographie, die weitsichtigen Romane haben nichts an ihrer Originalität eingebüßt. Für nachfolgende Generationen gestaltete sich vor allem seine Lebensauffassung anziehend, die Mischung von Exzess und intellektuellen Kämpfertum.

Zur Emigration entschieden sich die Geschwister früh. Sie kehrten Nazi- Deutschland im Frühjahr 1933 den Rücken und engagierten sich publizistisch und künstlerisch, Klaus als Herausgeber einer Exilzeitschrift, Erika als Schöpferin des Kabaretts „die Pfeffermühle". Erika sollte erst 1952 wieder Fuß in Europa fassen, Klaus nicht mehr wirklich.

Was im Film von Andrea Weiss und Wieland Speck erkennbar wird, ist die Unvereinbarkeit der erwachsenen Geschwister. So sehr sie sich als Kinder und Pubertierende noch in den Zwanzigern verbunden waren, so tief waren später die Gräben. Die unausgelastete Erika (ihr Kabarett fand in den USA keine positive Aufnahme) nähert und widmet sich zunehmend ihrem Vater. Klaus, gebeutelt von Drogenexzessen und Entziehungskuren, scheitert beim Experiment, eine Exilzeitschrift herauszugeben ­ und bei seinen Suizidversuchen. Als er 1949 einer Tablettenüberdosis erliegt, unterbricht die Schwester nicht die Tour, auf der sie ihre Eltern durch Europa begleitet. Hatte sie schon so fest mit dem Freitod des Bruders gerechnet, dass sein Vollzug zur Befreiung wurde?

Der Film bietet keine neuen Antworten. Dafür einen Taumel an Bilderflut, Fotografien in Leinwandgröße, heraufbeschworene glückliche Jugend. Schwarz-weiß-Filmszenen; Bahnhöfe, Züge, Metropolen, Europa, Amerika. Dazwischen Interviews von Mitarbeitern Erikas, die über turmhohes Lob selten hinausgehen. Erfrischender wirkt das Gespräch mit der jüngsten Schwester, Elisabeth Mann-Borgese, die zuweilen Kritik an der „Großen" übt. Zu Klaus Mann werden keine Zeugen aufgeboten, die Spielszenen zu seinen Romanen sollen für ihn sprechen. Überflüssig und etwas eitel kommen die daher. Der zarte Klaus und eine piepsstimmige Erika, die im Garten der Eltern der Deklamation frönen; ein umnachteter Klaus, der einfältig und benebelt dem Eros eines dreisten Brooklyn-Adonis verfällt ... das wollte man nie bebildert haben!

Beachtlich ist die Fülle des aufgearbeiteten Materials ­ Radiomitschnitte, Interviews, Textdokumente, Fotografien. Erschüttert war die Beobachterin von der Stimme Klaus Manns, die mit unverkennbarem deutschen Akzent Amerikaner aufklärt. Diese Dimension der Nähe, verstärkt durch etliche unbekannte Fotografien und Filmszenen aus dem Leben des „Heldenpaares" versöhnte wieder mit dem Film.

Anne Hahn

läuft in den Kinos Cinema Paris, Hackesche Höfe und Xenon

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