Ausgabe 04 - 2001 berliner stadtzeitung
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Es würde echt alt aussehen"

Kitsch-Town ­ Eine Diskussion über die Adlonisierung des Tacheles-Geländes

So einseitig wie Hans Stimmanns „Architekturgespräch", wo sich die Befürworter einer traditionalistischen Architektur gegenseitig bestätigten, sollte die Diskussionsveranstaltung der PDS Mitte zur Bebauung des Tacheles-Geländes nicht werden. Die Liste der eingeladenen Podiumsgäste ließ eine kontroverse Debatte erwarten, doch Senatsbaudirektor Stimmann und Ernst Maschmeier vom Investor „Fundus" ließen sich entschuldigen, so dass Thomas Flierl als Moderator mit dem Stadtsoziologen Werner Sewing, dem Architekturkritiker Wolfgang Kil und Carsten Joost vom selbsternannten „Bund kritischer Architekten" allein auf dem Podium im Theatersaal des Tacheles saß – Kritiker unter sich. Das Publikum war allerdings sehr zahlreich.

Die PDS-Fraktion in der BVV Mitte fühlt sich nicht ausreichend über das „Fundus"-Projekt informiert, um über den Bebauungsplan abzustimmen, daher habe man sich Experten eingeladen, so Thomas Flierl. Werner Sewing meint, es sei kein Zufall, dass das Verfahren bisher hinter den Kulissen ohne öffentlichen Wettbewerb gelaufen ist. Er vermutet, dass Hans Stimmann selbst dem „Fundus"-Chef Anno August Jagdfeld das amerikanische Planungsbüro Duany/Plater-Zyberk vorgeschlagen hat. Der Architekt Andres Duany gilt als einer der Köpfe der traditionalistischen Städtebaubewegung „New Urbanism". Die zaghafte Kritik, die Stimmann an Duanys Tacheles-Plan übt, richtet sich nur gegen die Fassadengestaltung. In einem „New Urbanism"-Manifest wird die von Stimmann maßgeblich beförderte „kritische Rekonstruktion" im Berlin der neunziger Jahre kurzerhand mit dem „New Urbanism" gleichgesetzt. „Das ist also nur ein Konflikt innerhalb der Familie", folgert Werner Sewing. „Stimmann scheint nun zu versuchen, Berliner Architekten dabei mit Aufträgen zu versorgen."

Wolfgang Kil blickte noch einmal auf das „Architekturgespräch" zurück, das zwei Wochen vorher stattgefunden hat: „Warum setzt sich ein milliardenschwerer Investor wie Jagdfeld so einer Veranstaltung aus?", fragte Kil. „Er hat vom Erfolg des Potsdamer Platzes gelernt." Weil über den Potsdamer Platz so lange und heiß diskutiert wurde, fährt heute jeder dorthin. Jagdfeld tut nichts anderes, als sein Projekt ins Gespräch zu bringen. „Eigentlich müssten wir uns hier von Jagdfeld ein Honorar zahlen lassen", meinte Kil. Dass Jagdfeld inständig um Vertrauen dafür bat, dass das „Johannisviertel" ein Erfolg werde, lag dem Kritiker zufolge daran, dass er „nichts vorzuweisen" habe. In Heiligendamm an der Ostsee hat er einen alten Badeort zugrunde gerichtet. „Wie soll man dem vertrauen?", zeigte sich Wolfgang Kil ratlos.

Das Prinzip Potsdamer Platz machte auch Werner Sewing aus: Mit der „pompösen Beaux-arts-Architektur" werde das Viertel eindeutig als Touristenzone determiniert. Auch eine Erhöhung des Wohnanteils würde daran nichts ändern. „Wer dort wohnt, wird sich wie ein Tourist verhalten", meint Sewing. Die traditionalistische Architektur würde ein gehobenes Bürgertum anziehen, das mit der Spandauer Vorstadt nichts mehr zu tun hat. „Man erfindet sich eine neue Geschichte", so Sewing. „Es würde echt alt aussehen. Das Tacheles ist dabei nur ein kleines Bonbon. Die Künstler würden irgendwann rausgehen und ´Fundus' wird das Tacheles nochmal sanieren, dann aber richtig."

Wolfgang Kil zeigte den heutigen Tacheles-Nutzern noch eine weitere Perspektive auf. Die aufrechten Tachelesen sollten sich zunächst in ein Trainingslager begeben und dann ein Gebäude besetzen, das sich in einem ähnlichen Zustand befindet wie das Tacheles jetzt: den Palast der Republik. „Dann gäbe es wieder einen Ort, der echt ist."

Jens Sethmann

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