Ausgabe 04 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Musst du auch fröhlich sein?

5:55, Tagesanbruch. Viermal piept der Wecker, dann eine kleine Pause, dann wieder. Ich bin schon wach.

Wasser aufgesetzt, Hintern auf die Klobrille, noch einmal senken sich die Lider... Und los: Kaffee kochen, Zähne putzen, vielleicht ist noch ein altes Brötchen da, und dann: Möchte ich nur mal eine Minute still dasitzen und beispielsweise den Heizkörper anstarren, die elegante Linienführung, die Nummer „5" steht ganz oben auf dem Drehregler, richtig so; Zufriedenheit macht sich breit, warm ist es und ruhig...

Aber denkste: Baby-Frühstück vorbereiten, Tasche packen; dann wird mir das Kind selbst in den Arm gedrückt, damit die Mutter mal ins Bad gehen kann. Und das Schwerste hab ich immer noch nicht getan: Das schwäbische Lebensmotto „Wer schaffen will, muss fröhlich sein" geht mir nicht aus dem Sinn. „Warum schaffst du nichts?", frag ich mich mit vorwurfsvollem Ton, und die Antwort weiß ich ganz genau: „Ich muss fröhlich sein!" Am frühen Morgen.

Ich schalt das Radio ein: Das ist das Schwerste. Fröhlichkeit liegt in der Luft. Ich winde mich vor Schmerz. ´Doch der Schmerz wird vergehen, und schön wird das Wiedersehen.'

*

7:05, Sonnenaufgang. Auf dem Weg zur Straßenbahn liegt eine Tankstelle mit zapffrischen Frühstücksbrötchen. Wie kommt es nur, dass sie in der Tanke an der Rummelsburger Straße freundlich sein können, aber nicht beim Bäcker, bei Reichelt oder sonst irgendwo?

Vielleicht weil hier nur Männer hinterm Ladentisch stehen? Die Trennung der Geschlechter: Hat der Islam doch recht? Sollte man so etwas denken? Und wenn man es denkt, sollte man nicht besser den Mund halten?

Da kommt die Straßenbahn. Täglich die gleichen Gesichter. Ob sie sich an mich erinnern? Abends ihrer Familie von mir erzählen? Mich auf Phantomzeichnungen wiedererkennen? Ob ich mich erinnere? An den dicken Mann mit den zahlreichen Krankenhausaufenthalten?, an die Schulkinder und ihre Russisch-Hausaufgaben?, an das Chinesenmädchen, dass täglich mit mir umsteigt?

7:45, der Unterricht beginnt. Jeder seinen eigenen Computer. Benutzername, Kennwort. Nach wenigen Minuten das erste Opfer: Klaus ist tot. Blut spritzt auf den Monitor. Doch er steht wieder auf. Es ist ja nur ein Spiel. (Quake)

Es ist dies eine der Geschichten, wo das Geld zum Monatsende knapp wird. Ebbe auf dem Konto. Manch einer kennt das. Die Einkaufsliste wird lang und länger: Kaffee, Käse, Brot, Butter, Kindernahrung, Pampers, Klopapier. Wir warten auf die Überweisung, die morgen kommt, oder übermorgen ­ oder erst am Montag.

In der Mittagspause erreicht uns Nachricht von einem nahegelegenen Kontoauszugsdrucker: Das Fahrgeld ist da!

Wir hatten gerüchteweise davon gehört, dass das Arbeitsamt in seiner unendlichen Güte uns eine BVG-Monatsmarke bezahlen wollte. Ein Angebot, ein Zeichen des guten Willens, symbolische Wiederaufnahme in den Kreis der anständigen Menschen, ein Versprechen, eine Hoffnung auf einen Dienstwagen, wenn wir nur erst unsern Abschluss haben. Aber das Fahrgeld wird schon am 27. überwiesen und ist so auch eine Verlockung. Wenn ich diese 105 Mark in eine Extra- und eine Rossmann-Filiale hineintrage, und weiter darauf vertraue, dass während des Berufsverkehrs nicht kontrolliert wird, dann... Ja, dann...

Hans Duschke

Bov staunt nicht schlecht, weil Hans jetzt auch ein Handy hat.

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