Ausgabe 03 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Banal ist normal

Notizen zur 18. Musik-Biennale

I.
Das Motto lässt eher an einen Coming- out-Leitfaden für schwule Jugendliche denken denn an ein Musikfestival: Anders ist normal. Aber was heißt schon anders und was wäre normal? Die Werbeagentur der Berliner Festspiele visualisiert dieses Andere mit einer Tür, die zwei Klinken aufweist. Mehr Irritation geht von den meisten neuen Stücken, die auf dem Programm der diesjährigen Musik-Biennale standen, auch nicht aus.

Die 18. Musik-Biennale war die letzte. Künftig soll es ein jährliches Festival für zeitgenössische Musik geben, Heike Hoffmann hatte letztmalig die künstlerische Leitung. Mit dem neuen Festwochen-Intendanten Joachim Sartorius werden neue Leute kommen und wahrscheinlich werden dann auch auf der Biennale, die dann keine mehr sein wird, bemüht-originelle "Crossover"-Projekte und Weltmusik Einzug halten. Die Biennale 2001 war noch einmal ein Festival im gut-herkömmlichen Sinne: 10 Tage dichtes Programm, Orchester- und Kammerkonzerte, Komponistengespräche, zahlreiche Uraufführungen.

II.
Glücklich ins neue Großdeutschland hinübergerettet widmete sich die Biennale in den neunziger Jahren erst mal der Retrospektive. In vier Festivals wurde jeweils ein Jahrzehnt "Neue Musik im geteilten Deutschland" vermessen. 1999 war man endlich in den achtziger Jahren angekommen. Nun hätte man sich in diesem Jahr eigentlich schon an eine Rückschau auf die neunziger Jahre wagen können. Aber vielleicht ist das zu früh. Heike Hoffmann schreibt im Programmbuch: "Angesichts der Diversifizierung des gegenwärtigen Musikgeschehens, der herrschenden Offenheit und stilistischen Vielfalt wurde auf die Formulierung eines Generalthemas, das ja immer auch Begrenzung bedeutet, bewusst verzichtet." Nun, die Auswahl der Stücke und die Vergabe der Kompositionsaufträge musste natürlich trotzdem irgendwie entschieden werden. Man lässt sich dabei aber lieber nicht in die Karten blicken. Ein einigermaßen konsistentes Bild ergibt die Programmpolitik (nicht nur) dieses Festivals eigentlich nur, wenn man die Seilschaften hinter den Kulissen kennt; aber dies ist keine Klatschkolumne und der Frage "Wer mit welchem Komponisten?" soll an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Die Neue-Musik-Mafia jedenfalls, eine insgesamt doch relativ kleine Clique, hat für die Kulturindustrie keine nennenswerte ökonomische Bedeutung und kann so ihre Vetternwirtschaft ungestört und besonders dreist betreiben. Eine kritische Berichterstattung gibt es nicht, da die wenigen Fachjournalisten in diese Spielchen eingebunden sind. Beinahe grenzt es an ein Wunder, dass Berlin mit dieser Biennale einmal ein Festival ohne Wolfgang Rihm, den umtriebigen Zuvielschreiber und Ober-Mafioso in allen Gremien, erleben durfte.

III.
Auch die 18. Musik-Biennale riskierte den Blick zurück, und die kleine Retrospektive mit Werken von (mehr oder weniger) vergessenen Serialisten, war wohl auch das Interessanteste am diesjährigen Programm. Jean Barraqué, Jean-Pierre Guézec, Bill Hopkins, alle sind sie relativ früh verstorben. Man muss nicht gleich wie Heinz-Klaus Metzger im Programmbuch von bösen Mächten phantasieren; richtig bleibt, dass hier eine historische Alternative zu Boulez verschüttet wurde. Herbert Henck gelang eine eindringliche Darstellung der gewaltigen Barraqué-Klaviersonate, mit dem Klangforum Wien waren die besten Spezialisten für die Ensemble-Stücke, Teile des monumentalen, unvollendeten Hermann-Broch-Zyklus’ des Franzosen, aufgeboten. Einige Stücke, so die Suite pour Mondrian von Guézec, erlebten jetzt nach 40 Jahren ihre deutsche Erstaufführung. Eine Entdeckung auch die von Nicolas Hodges vorgestellten Études von Bill Hopkins. Der britische Barraqué-Schüler wurde keine 40.

Gemessen an der geradezu komplexistisch-überdifferenzierten Musik der Serialisten, deren Strukturen im Hören kaum adäquat nachzuvollziehen sind, diesem technischen Niveau, sehen die meisten Zeitgenossen ziemlich alt aus. Zwar heißt es, auch Herr Kyburz generiere seine Strukturen aus mathematischen Operationen, doch wie matt und konventionell ist das Ergebnis! In The Voynich Cipher Manuscript bedient der Schweizer sich zudem eines Raumklangkonzepts, das man nur als auf den Hund gekommenen Nono bezeichnen kann. Dahinter steht ein in nicht entzifferbarer Geheimschrift verfasstes Manuskript aus dem 16. Jahrhundert, doch was verschlägt’s? Bedeutungshuberei als Einschüchterungsstrategie ist jedenfalls ganz groß angesagt bei den zeitgenössischen Komponisten. Dabei darf Hanspeter Kyburz, geb. 1960, durchaus als prototypisch gelten für eine neue Harmlosigkeit und Unverbindlichkeit in der Musik; einer Musik, die niemandem weh tut, die nichts kostet und nichts bedeutet und die natürlich dem Bildungsbürger Zucker gibt. Die Kritiker indes schreiben brav die elaborierten Erklärungen aus dem Programmbuch ab. Auch die in Berlin lebende Britin Rebecca Saunders ist so ein Fall. Ihr G and E on A ist Konfektionsware. Am Ende kramen die Orchestermusiker Spieldosen hervor und der postmodernen Ironie ist Genüge getan. Hihi – das ist ganz nach dem Geschmack der Musiker des Deutschen Symphonie-Orchesters, die vorher bei En face d’en face von Nicolaus A. Huber, einem anspruchsvollen, sperrigen Stück, noch wie Schulkinder herumgefeixt hatten.
Aber auch die ältere Generation macht keine gute Figur: Da turnt Alt-Avantgardist Vinko Globokar mit seiner Posaune auf der Konzerthaus-Bühne herum, während der Rundfunkchor Berlin, mal gestikulierend, mal Händchen haltend, theatralischen Primitiv-Aktionismus vollführt; Kolo heißt das peinliche Stück. Dagegen sind die Chorstücke des etwas altmeisterlichen Klaus Huber die reine Freude. Georg Katzer durfte als einziger "DDR-Komponist" mit von der Partie sein. Die Orchesterbehandlung in seinem neuen Saxophonkonzert SaxophoneMachine ist grobschlächtig, die Form konventionell, der Solopart der übliche Virtuosencircus.

Es gibt aber nicht nur Ernüchterndes zu vermelden: Hologram der jungen Slowenin Larisa Vrhunc, von einem Bild Paul Klees ausgehend, ist ein rafiniertes, fein gearbeitetes Orchesterstück, und der Wiener Lachenmann-Schüler Clemens Gadenstätter hat mit akkor(d/t)anz ein Klavierstück geschrieben, das wie viele der serialistischen Stücken eine wahre pianistische tour de force darstellt. Florian Müller meisterte die Uraufführung des Stücks, das durch einen intelligent-kritischen Umgang mit pianistischen Gesten und Formeln besticht.

Florian Neuner

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