Ausgabe 03 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Filou und Heckenschütze

Ansichten zu „Matthias“ BAADER Holst

„Matthias“ BAADER Holst. Untergrundpoet, Punk, Anarchist, Vagant, Dadaist, radikaler Künstler, Rebell. Das alles irgendwie. Und das alles irgendwie nicht.

Ein sicherlich singulärer Vorfall, der eine Symbiose mit seinen Texten eingegangen war und sie als Klangform der eigenen Unangepasstheit unters Volk schlug. Ein performender Dichter mit asketischem Körper, ungezügeltem Intellekt und dem Machtapparat einer Sprache, die nicht leicht mit ihm zu teilen war. Den Kopf kahl rasiert wie einer, der das Äußere ganz von sich abschneiden will. Ein Nosferatu-Typ, auratisch, mit einer hohl klingenden, dunklen Orakelstimme. Eine wie der Dadaist Johannes Baader „charismatische Begnadung“.

Matthias Holst, geboren 1962 in Halle, 1990 in Berlin von einer Straßenbahn ums Leben gebracht. Der seinen Vornamen zwischen Apostrophe setzte, weil er sich nicht als „Bevorzugter Gottes“ sehen wollte und sah. Holst, der irgendwann BAADER war, ein weiterer Radikaler seines Jahrhunderts. Sich als Zwanzigjähriger die Avantgarden anlesend, um dann selbst ein Versprengter zu werden, sich sozialisierend am Rand der Gesellschaft. Intention: „Kein Bestandteil sein.“
BAADER, der das ihn umgebende System, diesen Sackgassenstaat nicht brauchte, entwickelte sich zu einem Killersatelliten des Konventionellen. Aus einem wirklichen Untergrund heraus, in einer wirklichen Distanz. Unterwegs als authentischer Widerpart des Common sense, um zu schockieren, aber vor allem auch zu amüsieren. In seinen letzten Jahren gemeinsam mit Peter Wawerzinek ein aktionistisches Freibeuterkommando bildend, das sich ungefragt in literarische Veranstaltungen sprengte.

Man weiß nicht, ob die Bezeichnung „Dichter“ angemessen ist. BAADER schloss sich selbst als ernstzunehmenden Faktor aus. Seine Texte sind eher Nebenprodukte einer experimentellen Lebensform als die zentrale Ambition eines um Nachwirkung bemühten Literaten. Was er entfesselte, war für kein klassisches Walhall gemacht. BAADER Holst war Filou und literarischer Heckenschütze – der sich selbst quer ins Schreiben schoss, wo Harmonie drohte oder traditionelle Poesie. Alles kam unter die Räder seiner sarkastischen Dekonstruktion. Geschichte, Politik, Mythen, Verhaltensweisen, Utopien.

Die Texte gleichen Abraumhalden im Posthistoire. In ihnen kollabieren Begriffe, Zustände und Zeichen zu Zeichen ohne engere Bindung an ihren Ursprung. Die Worte werden in der Zentrifuge dieser Texte übereinander gestürzt und gnadenlos miteinander verrieben. „lauft mit pol-pot ski in sotschi skiiten! peking plus…/henke mich nirwana-lamm!!!! trie my vagina in valuta bridge ida haßts… das mit den heerscharen flutschte.“

Seine Sprache ist ein Demontagebau. Das untergegangene Äußere wird mit chaotisierter Semantik im sprachlichen Teilchenbeschleuniger revitalisiert. Die Katastrophen der Geschichten enden in einem Zirkusbild. – Nichts für enge Literaturbegriffe.

Wer hier „Trash“ sagt, kann Recht haben. BAADER Holst trug die existenztialistischsten Formeln als ätzenden Witz vor sich her („ceaucescu meiner seele“). Nonsens war ein Grundmotiv. An der Oberfläche ein Spiel. Aber eben auch die zutiefst motivierte Konfligierung dessen, was die Welt bot. Und der Sinnsturz kann eine tiefere Bestürzung nicht verbergen.

BAADER ging Philosophie und Relevanz möglichst aus dem Weg, und war doch immer wieder Autor apodiktischer Sentenzen, die Wirklichkeit präzise treffend: „das antlitz der sterne von bautzen und canossa das haus deiner kindheit“. Da ist deutlich Ohnmacht und Verletzung, vielleicht Resignation. Die Wirklichkeit, schrieb BAADER, ist etwas für Verfolgte.

Und so verfolgt er die Wirklichkeit in einer Gegenbewegung. Entbindet die Dinge ihrer Einbettung in Chronologie und Kausalität. Delirisch, berauscht am Zerpflücken der Semantik, lidlos. Manchmal merkwürdig visionär, dass es scheint, als wären hier Rückblicke geschrieben, die die Zukunft bereits in sich tragen.

Holsts Installationen seien, so Peter Wawerzinek, wie „blutige Binden, die man sich abnimmt und der Welt vorwirft“. „Und es war echtes Blut, echte Binden und auch echtes Hinwerfen.“

Heute scheint es, als hätte es „Matthias“ BAADER Holst nicht gegeben. Er ist ein Unentrissener. Über den die Literaturwissenschaft hinweg geht, aus Desinteresse, Unkenntnis oder Unfähigkeit. Dabei ist das, was er hinterließ, von autochthoner Modernität.

Ron Winkler


laß uns schweigen wie ein grab wenn es morgen wird

als du mich neulich aus der gosse zogst und mich anwarbst für einen schwung faustanfreundlicher karmeliter fühlte ich mich wie ein krippenspiel zu ehren des 17. Juni wie zu bismarcks einschulung im beisein einer campanellaschen kosmetikerin ich war reif für ein neues sein eine laufbahn als marschall der sowjetunion als oberbefehlshaber der nato: seelsorger (seit freud ist die kantine ein ort der versöhnung seit reich gibt es nur noch eintopf seit janov sind die teller alle) ich aber sehnte mich weiter nach werten und stand plötzlich vor einer aussiedlertruhe strapse eine kadaverhelle stark: drei care-pakete thomas müntzer in der nähe deines kopfkissens ich ließ mich gehn blieb sitzen und trank weiter versoff mein genie um endlich allein zu sein


traurig wie hans moser im sperma weinholds, Maas Verlag, Berlin 1990, 64 Seiten, 21,80 Mark

koitusbonzen rotzen/ zwischen bunt und bestialisch, Maas Verlag, Berlin 1992, 112 Seiten, 25,60 Mark

Im Katalogband „Boheme und Diktatur in der DDR/ hrsg. von Paul Kaiser und Claudia Petzold“, Berlin 1997
findet sich ein luzider Essay der Herausgeber über BAADER


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