Ausgabe 03 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Pippi Langstrumpf ist eine Kapitalistin

Lukas Moodysson schildert die Irrungen und Wirrungen einer Hippie-Kommune

"Wir sind wie Haferbrei", verkündet Göran (Gustaf Hammarsten), indem er eifrig in der klebrigen Masse rührt. "Zuerst sind wir nur einzelne Flocken, aber als Brei sind wir vereint." Anhand der vegetarisch korrekten Kost erläutert er seiner Nichte Eva und seinem Neffen Stefan den Funktionsmechanismus von "Zusammen", seiner Hippie-Kommune. Dorthin hat es Görans Schwester Elisabeth (Lisa Lindgren) und ihren Anhang auf der Flucht vor ihrem prügelnden Ehemann Rolf (Michael Nyqvist) verschlagen. Wir schreiben das Jahr 1975: Der Tod Francos, die Pinochet-Diktatur in Chile und der Vietnamkrieg bestimmen das internationale politische Geschehen. In einem Haus am Rande von Stockholm versuchen junge Leute, ihren Traum von freier Liebe, Emanzipation und antibürgerlicher Revolution auszuleben. In der fernseherlosen Kommune sind Fleisch und Kriegsspielzeug verpönt, man debattiert lieber darüber, ob Geschirrspülen bourgeois sei. Auch in den Beziehungen der Wohngemeinschaft kriselt es. Lasse und Anna haben sich gerade getrennt, wohnen jedoch dem gemeinsamen Kind zuliebe weiterhin unter einem Dach. Göran, der in einer offenen Beziehug mit Lena lebt, muss mitansehen (bzw. -hören), dass Lena mit Mitbewohner und Bankierssohn Erik schläft, der, um der Arbeiterklasse näher zu sein, als Fabrikarbeiter seinen Lebensunterhalt verdient. Elisabeths Kinder wiederum befremdet der Lebensstil der Hippies. Ihnen fehlt der Vater, der die Trennung von der Familie nicht verkraftet und sich hemmungslos dem Alkohol hingibt. Mutter Elisabeth fügt sich jedoch gut in das Kommunenleben ein. Sie lernt das Meditieren und wird an die Grundregeln der Emanzipation herangeführt. Auch ihr Einfluss wird spürbar: Bürgerliche Elemente, von denen Kartoffelsalat mit Bockwurst noch der harmloseste Auswuchs sind, halten in der bis dahin von der Außenwelt abgeschirmten Kommune Einzug...

Der junge schwedische Regisseur Lukas Moodysson bestätigt mit seinem zweiten Film die Hoffnungen, die er nach seinem erfrischenden Debüt "Fucking Amal" geweckt hatte. Stilistisch bleibt er sich treu, filmt seine Geschichte sehr realistisch, mit einer Kamera, die ganz nahe an den Figuren ist, manchmal fast an ihnen klebt. So entgeht uns nichts von dem Mimenspiel der Akteure. Vor allem das immer leicht schmollende Gesicht Evas verrät, welche Seelenqualen sich dahinter abspielen. Auch der verzweifelte Ehemann sucht Anschluss, versucht mit allen seinen Kräften die Familie wiederzugewinnen. Denn eines verbindet die Protagonisten: Am Alleinsein zerbricht man auf die Dauer, auch wenn in der Gemeinschaft Reibereien und Konflikte vorprogrammiert sind.

Nur sind die Figuren des Films manchmal gar zu krampfhaft auf der Suche nach einer sinnstiftenden Identität. So werden die Kommunarden als Kinder der Wohlstandsgesellschaft entlarvt, bei denen sich die Revolution vor allem in Worten und Ritualen erschöpft. Ihr Bewusstsein entsteht nicht aus ihrem Sein, sie sind mitunter allzu bemüht, ihr Leben nach ihrer Ideologie auszurichten. So erscheint das Nichtausrasieren der Achselhaare bei den Frauen als revolutionärer Akt, wird Pippi Langstrumpf als Kapitalistin gebrandmarkt, wirft Erik seine Eroberung Lena aus dem Zimmer, als sie sich weigert, mit ihm nach dem Beischlaf über das Kommunistische Manifest zu diskutieren. Die Ideale der Kommunarden scheitern an der allzu banalen Realität. Trotz all ihrer Bemühungen bevorzugen die selbsternannten Kinder von Marx letztendlich doch Coca Cola.

Trotz der amüsierten rückblickenden Perspektive, die die heißblütigen Ideale der 70er mit dem nüchternen Abstand von heute betrachtet, werden die Kommunarden nicht verurteilt, taugt die verklemmte kleinbürgerliche Pseudo-Ordnung der Nachbarsfamilie nicht als Gegenentwurf. So kommt "Zusammen" als ein ebenso versöhnliches wie vernünftiges Manifest daher, das schließlich nichts mehr als Respekt und Toleranz beim Zusammenleben aller möglichen Lebensformen propagiert.

Kira Taszman

Zusammen (Tillsammans), Schweden/Dänemark/Italien 2000; R: Lukas Moodysson; D: Lisa Lindgren,Michael Nyqvist, Gustaf Hammarsten
Kinostart: 12. April

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