Ausgabe 03 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Erste Rabbinerin Deutschlands und weltweit

Regina Jonas (1902 Berlin – 1942 Auschwitz)

Wie in der allgemeinen Geschichtsschreibung bis heute leider häufig, hat auch das neue Standardwerk "Juden in Berlin", das im scheinschlag 2/01 vorgestellt wurde, ein kleines Manko: Von drei hochdotierten männlichen Wissenschaftlern konzipiert und herausgegeben, kommen Frauen nur sehr selten oder am Rande vor. Ohne die Statistiken zu kennen, kann man vermuten, dass auch unter den jüdischen Bewohnern Berlins Frauen in Vergangenheit und Gegenwart etwa zur Hälfte vorkommen: Berühmte, Vergessene und Unbekannte.

So wird Regina Jonas, die erste Rabbinerin der Welt, in "Juden in Berlin" zwar erwähnt und mit einem Foto vorgestellt, doch die Autorin Elisa Klapheck hat sich weitaus intensiver mit dieser vergessenen Biografie befasst. So hat sie die im Vorjahr wieder aufgefundenen Arbeiten der 1935 ordinierten Rabbinerin herausgegeben und deren Lebensgeschichte aufgeschrieben. Das Buch "Fräulein Rabbiner Jonas. – Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?" verleiht nach jahrzehntelangem (Ver)Schweigen dem Leben und Wirken einer äußerst bemerkenswerten Persönlichkeit wieder Gehör.

In den kommenden Ausgaben widmet sich der scheinschlag weiteren vergessenen Frauen wie der Berliner Porträt-Fotografin Charlotte Joël, den Dichterinnen Hedwig Lachmann, Auguste Hauschner und Gertrud Kolmar, sowie der Wirtschaftsexpertin Prof. Cora Berliner. Diese und andere Frauen, nach denen in Berlin Straßen benannt sind oder werden, an die wenige Gedenktafeln oder andere Denkzeichen in unserer Stadt erinnern, sollen im Mittelpunkt stehen.

"Wenn ich nun aber doch gestehen soll, was mich, die Frau, dazu getrieben hat, Rabbiner zu werden, so fällt mir zweierlei ein: mein Glaube an die göttliche Berufung und meine Liebe zu den Menschen. Fähigkeiten und Berufungen hat Gott in unsere Brust gesenkt und nicht nach dem Geschlecht gefragt. So hat ein jeder die Pflicht, ob Mann oder Frau, nach den Gaben, die Gott ihm schenkte, zu wirken und zu schaffen. – Wenn man die Dinge so betrachtet, nimmt man Weib und Mann als das, was sie sind: als Menschen."

Dies schrieb Regina Jonas 1938 für eine liberale jüdische Zeitung. Damals war sie schon seit drei Jahren Rabbinerin – die erste Rabbinerin der Welt.

Geboren am 3. August 1902 in Berlin, wuchs sie in einer armen, streng religiösen jüdischen Familie auf. Sehr früh fühlte sie ihre Berufung und erzählte ihren Klassenkameradinnen, dass sie eines Tages Rabbinerin sein würde. In Fächern wie jüdische Religion, biblische Geschichte und Hebräisch hatte sie immer nur Einsen und drängelte sich vor, um ihr Wissen zu zeigen, erzählte eine Mitschülerin. In anderen Fächern waren ihre Leistungen jedoch eher mittelmäßig, außer später im Fach Pädagogik am Oberlyzeum. Sie war eine leidenschaftliche Lehrerin, was die Voraussetzung für den Rabbinerberuf war – denn Rabbis sind in der jüdischen Religion in erster Linie Lehrer der heiligen Schriften und der Religionsgesetze.

Ab 1924 unterrichtete Regina Jonas jüdische Religion an den Berliner Mädchenschulen. Damit finanzierte sie ihr Studium an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, an der auch der große Rabbiner Leo Baeck lehrte. Sie war nicht die einzige Studentin dort, aber keiner ihrer Kommilitoninnen wäre es in den Sinn gekommen, Rabbinerin zu werden. Dies war damals noch undenkbar. Die meisten wollten Religionslehrerin werden. Aber Regina Jonas studierte von Anfang an mit der Absicht, Rabbinerin zu werden und von den Kanzeln der deutschen Synagogen zu predigen. Ihre Examensarbeit im Jahre 1930 befaßte sich mit der Frage "Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?" Darin wies Regina Jonas nach, dass die jüdische Religion und die Emanzipation der Frau keine Gegensätze seien. Der letzte Satz in dieser Schrift lautete: "Außer Vorurteil und Ungewohntsein steht … fast nichts dem Bekleiden des rabbinischen Amtes seitens der Frau entgegen. So möge auch sie in einer solchen Tätigkeit jüdisches Leben und jüdische Religiosität um ihrer selbst willen in kommenden Geschlechtern fördern." Die Arbeit wurde mit einer 2 benotet – Prädikat gut. Trotzdem scheute die Hochschule einen Skandal und lehnte es ab, Regina Jonas als Rabbinerin zu ordinieren.

Erst fünf Jahre später, am 27. Dezember 1935, nahm der liberale Rabbiner Max Dienemann (Offenbach) die Rabbinatsprüfung von Regina Jonas ab und stellte ihr das Rabbinatsdiplom aus.

In demselben Jahr hatten die Nationalsozialisten in Deutschland die Nürnberger Rassegesetze verabschiedet. Regina Jonas blieb leider nur wenig Zeit, um als Rabbinerin zu wirken. Sie soll eine begnadete Predigerin und passionierte Seelsorgerin gewesen sein. Von den wenigen überlebenden jüdischen Menschen aus Berlin können sich noch etliche daran erinnern, was für eine imponierende Persönlichkeit sie war, wenn sie als Rabbinerin in den Synagogen auftrat. Überall wurden Juden ausgegrenzt, diskriminiert, entrechtet und verfolgt. Regina Jonas machte ihren Leidensgenossen jedoch Mut, stärkte ihr Rückrat, lenkte ihre Konzentration weg von dem täglichen Leid hin zu den ewig währenden Werten der jüdischen Ethik. Viele ins Ausland geflüchtete Menschen schrieben Regina Jonas Dankesbriefe, weil sie sich um deren Eltern und Großeltern kümmerte und Essen und Kleidung für sie beschaffte.

1942 ereilte sie dasselbe Schicksal wie 55000 andere Berliner Juden, darunter ihre Mutter Sara Jonas. Im November wurden beide nach Theresienstadt deportiert und zwei Jahre später ins Vernichtungslager Auschwitz, wo Regina Jonas wahrscheinlich noch am Tag ihrer Ankunft ermordet wurde. In Theresienstadt hatte sie als Rabbinerin weitergearbeitet.

Elisa Klapheck

Vorabdruck aus einem Band mit Kurzbiogra&Mac222;en Berliner Frauen, der im trafo verlag Berlin noch in diesem Jahr erscheinen wird.

Weiterführende Literatur: "Fräulein Rabbiner Jonas – Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?. Eine Streitschrift". Ediert, kommentiert und eingeleitet von Elisa Klapheck. Verlag Hentrich & Hentrich, Teetz 2000,
39,80 Mark. Dieses und weitere Bücher zu Berliner Frauengeschichten sind bis Ende März erhältlich als Begleitangebot in einer Ausstellung zu Berliner Frauengeschichten im Rathaus Mitte, Karl-Marx-Allee 31 oder ständig im Frauentreff "Brunnhilde", Rheinsberger Straße 61.

Spendenaufruf:
Bet Debora, eine Berliner jüdische Fraueninitiative, plant gemeinsam mit der Gedenktafelkommission in Mitte eine Tafel für Regina Jonas an deren ehemaligem Wohnhaus in der Krausnickstraße. Ein wesentlicher Teil der Kosten ist bereits gedeckt. Weitere Spenden bitte auf das Konto 7581 14-108 (Inh. Elisa Klapheck, Stichwort "Gedenktafel") Postbank Berlin, BLZ 10010010

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