Ausgabe 03 - 2001 berliner stadtzeitung
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Strieders Planer langweilen sich, darum ABM

Statt Kompetenzen abzugeben, betreibt der Senat die schleichende Entmachtung der Bezirke

Der Rat der Bürgermeister schreckte auf: Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) will immer mehr Planungen, die eigentlich in der Hoheit der Bezirke liegen, in seiner eigenen Behörde bearbeiten. Besonders deutlich wird das in Mitte: Alexanderplatz, Klosterviertel, Molkenmarkt, Spittelmarkt – fast lückenlos liegen diese Planungsvorhaben aneinander und ziehen sich wie an einer Perlenkette quer durch Mitte. Strieder entzieht dem Bezirk die Planung mit der Begründung, es handle sich um Gebiete mit "außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung". Als der Stadtentwicklungssenator eine solche nun auch für den Molkenmarkt und das Messegelände erklärte, legte der Rat der Bürgermeister – die Versammlung der zwölf Bezirksoberhäupter – ein Veto ein. "Wenn das so weitergeht, ist die gesamte Berliner Innenstadt ein Gebiet von außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung", protestierte Wolfram Friedersdorff (PDS), Bürgermeister von Lichtenberg-Hohenschönhausen.

Im Zuge der Bezirksreform wurden den vergrößerten Bezirken mehr Kompetenzen als vorher versprochen. Der Senat wollte sich nur noch um gesamtstädtische Aufgaben kümmern. Tatsächlich besitzen die Bezirke nun formell die alleinige Hoheit über die Bebauungsplanung. Doch gleichzeitig hat der Senat seine Fachaufsicht über die Bezirke durch ein allgemeines Eingriffsrecht ersetzt. Konnte der Senat früher nur in die Bezirksangelegenheiten hineinregieren, wenn dieser rechtswidrig oder nicht zweckdienlich handelte, so kann er heute jeden Vorgang mit dem Hinweis auf eine gesamtstädtische oder außergewöhnliche stadtpolitische Bedeutung den Bezirken entziehen – ein "Rollback", meint Franz Schulz (Bündnis 90/Grüne), Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg.

"Verlängerter Füllfederhalter"

Der ehemalige Kreuzberger Bürgermeister Schulz war der erste Leidtragende: 1999 entzog ihm die Senatsbauverwaltung das Genehmigungsverfahren für das vom Bezirk sehr kritisch beurteilte "Cuvry-Center" und stellte dem Investor "Botag" daraufhin ungewöhnlich hektisch eine Baugenehmigung aus. Heute liegt die Baustelle immer noch brach.

Die Bezirke sind nach wie vor keine eigenen "Gebietskörperschaften", sondern nur untergeordnete Verwaltungsstellen des Landes Berlin. Als ausführende Organe oder "verlängerter Füllfederhalter des Senats", wie der ehemaliger Tiergartener Bürgermeister Jörn Jensen (Bündnis 90/Grüne) es ausdrückte, sind die Bezirke immer vom Wohlwollen des Senats abhängig. Sie können auch nicht gegen die Entscheidungen des Senats vor Gericht ziehen. Dass eine Behörde des Landes Berlin eine andere Behörde des Landes Berlin verklagt, ist ausgeschlossen.

Angst vor eigenwilligen Bezirken

Die "außergewöhnliche stadtpolitische Bedeutung" am Molkenmarkt wird mit dem Planwerk Innenstadt begründet. Nach dem "Masterplan" der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung soll die übergroße Kreuzung hinter dem Roten Rathaus auf historisches Maß zurückgebaut werden. Auf den dadurch freiwerdenden Flächen sollen vorwiegend Wohnungen errichtet werden.

Das Planwerk Innenstadt hat aber nur eine verwaltungsinterne Wirkung. Um Baurecht zu schaffen, muss ein Bebauungsplan aufgestellt werden. Strieder hat offensichtlich Angst, dass der Bezirk Mitte, der in der Vergangenheit dem Planwerk eher ablehnend gegenüber stand, nun in der konkreten Umsetzung nicht so mitspielt, wie er sich das vorstellt. Mittes Stadtentwicklungsstadträtin Dorothee Dubrau (für Bündnis 90/Grüne) kann die Begründung am Molkenmarkt tatsächlich nicht nachvollziehen. Allenfalls die Führung des überörtlichen Straßenzuges Grunerstraße-Mühlendamm hält sie für eine gesamtstädtisch bedeutsame Frage.

Andreas Statzkowski, CDU-Bürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, nennt Strieders Eingriffe in die Bezirkskompetenzen ein "Arbeitsbeschaffungsprogramm" für die Beschäftigten der Senatsverwaltung. Neben dem Messegelände droht dem City-West-Bezirk auch noch der Entzug der Planungen für das "Haus Cumberland" am Kurfürstendamm – einer sehr kleinen Maßnahme, deren Bedeutung alles andere als gesamtstädtisch ist.

Wolfram Friedersdorff glaubt, dass Strieder zu viele Mitarbeiter hat, für die er Arbeit suchen muss. Zusammen mit den Kompetenzen sollte der Senat zum 1. Januar auch über 100 Mitarbeiter an die einzelnen Bezirke abgeben. Bisher ist jedoch noch keiner von ihnen in den bezirklichen Planungsämtern angekommen.

Furcht vor Bürgernähe

Aber nicht nur auf dem Feld der Stadtplanung regiert der Senat kräftig in die Bezirke hinein. Der Vorschlag des Finanzsenators Peter Kurth (CDU), ein Gebäudemanagement für alle landeseigenen Bauten einzurichten, traf in den Bezirken auf teils heftigen Widerstand. Durch eine zentrale Verwaltung aller Gebäude, die von Senats- und Bezirksdienststellen genutzt werden, will Kurth 20 Prozent von den 800 Millionen Mark, die Berlin jährlich für Bürobauten ausgibt, einsparen.

Für die Finanzhoheit der Bezirke würde dies einen tiefen Einschnitt bedeuten. Was bei Kurths Programm eingespart würde, fließt in die Kasse des Senats und versickert dort im großen Haushaltsloch. Wenn heute hingegen ein Bezirk in eigener Regie die Bewirtschaftungskosten seiner Gebäude senkt, kann er die Verwendung der eingesparten Gelder selbst bestimmen und diese etwa in die bezirkliche Jugendarbeit stecken. Dieses Prinzip des Globalsummenhaushalts würde durch das Gebäudemanagement des Finanzsenators ausgehöhlt.

Das Signal, das von der permanenten Einmischung des Senats in die Bezirksangelegenheiten ausgeht, ist fatal: Die Bezirkspolitiker werden für unwillig und unfähig gehalten, eigenverantwortlich zu handeln. Ihre Vor-Ort-Kenntnisse werden gering geschätzt, Bürgernähe im Verwaltungshandeln weitgehend für überflüssig erachtet. In einem solchen Klima darf sich niemand wundern, wenn die Bereitschaft der Bevölkerung, sich für ihren Stadtteil zu engagieren, immer weiter abnimmt.

Jens Sethmann

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