Ausgabe 02 - 2001berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Mutter aller Kokosnüsse

Geklaut haben es, das ist ja seit langem bekannt, die Kommunisten. Die Roten haben es einkassiert, sie streiten es gar nicht ab, aber selbst ihr Anführer Ulbricht brachte es nicht fertig, das Mordstrumm an einem Stück der sozialistischen Bauwirtschaft zuzuführen. Die Sprengkommandos richteten die Beute also etwas handlicher zu und bolschewistische Lkw-Kolonnen schafften sie ins Hinterland. Weg war es. Die Rede ist von jenem Steingebirge, das heute, ein halbes Jahrhundert später, zum neuen Nabel der Nation befördert werden soll: dem Berliner Stadtschloss, vormals Meldeadresse der Hohenzollern.

Die Kommunisten haben es geklaut, die Kommunisten haben es zerschreddert - aber wo haben sie es versteckt? Genaues weiß man nicht, die FAZ will 25% wiederentdeckt haben, vielleicht im Antiquitätenhandel. Ein Schatzplan existiert nicht, Gerüchte um so mehr. Etwa über das Affengehege im Tierpark-Friedrichsfelde: Dort blickt King Louie, der Chef der Japan-Makaken, von einer verdächtig neoklassizistischen Säule herab über eine königlich-preußische Kulissenlandschaft. Haben die Ulbrichts ihren ideologischen Bauschutt vielleicht der sozialistischen Tierpflege gespendet? Die mit unübersehbar postmodernem Spielsinn arrangierten Fassadenbrocken im Makakengehege beschwören jedenfalls ein ganz ähnliches ästhetisches Empfinden wie das ersehnte Schloss, sind sie doch auch wahrlich "schön" (Gerhard Schröder) und "großartig" (Dr. Antonius Jammers) und ,,modernen Ersatzbauten weit überlegen" (Dr. Immo Stabreit), also ein richtiges "Schmuckstück" (Manfred Krug), mit "Identität stiftender Kraft" (Dr. Hanns C. Schroeder-Hohenwarth ). Für King Louie ist solch erhabener Schauder seit Jahrzehnten Affenalltag, und die Deutschen, zumindest die 23 Fürsprecher auf www.berliner-schloss.de, wollen ihn nun auch endlich wieder haben. Jedoch: Ist das Stadtschloss wirklich die schönste Kokosnuss der Welt? Wenn es erst mal da ist, sicherlich: Bekanntlich hat man, was man liebt, weil man liebt, was man hat. Bei 1,5 Milliarden Mark Baukosten liebt man schon allein deswegen, weil ansonsten das schlechte Gewissen unerträglich wäre. Nun, es steht ja noch nicht.

Doch ein Gespinst geht um in Deutschland, ein Hirngespinst. Die irrige Vorstellung, mit der Wiedererweckung vormoderner Machtarchitektur lasse sich eine nachmoderne Gesellschaft integrieren. Das Stadtschloss plagt ein Dilemma. Für einen reinen Akt der Denkmalpflege ist es zu teuer. Als Symbol für eine demokratische Gesellschaft hingegen ist es das Falsche. King Louie juckt das nicht weiter - die Menschen hingegen berufen bei solcher Sachlage erstmal eine Kommission ein, die Expertenkommission "Historische Mitte Berlins". Neben dem sorgfältigen Abwägen barocker, postbarocker und neobarocker Rekonstruktionsansätze wird es wohl deren vornehmste Aufgabe sein, bunte rhetorische Schleier um den disparaten Charakter des Vorhabens zu legen. Worum es geht, ist klar: Die Experten der Kokosnuss sollen der Berliner Republik eine ordentliche Wurzelbehandlung verpassen - beziehungsweise die passende Anästhesie dafür empfehlen.

Betäubung ist nötig: Die überzeugende Tiefenbohrung nach deutschen Wurzeln (Herrmannsdenkmal, Walhalla, Kyffhäuser) scheiterte regelmäßig daran, dass der gemeine Bürger mit dem imaginierten Gemeinschaftssymbol herzlich wenig zu tun hatte. Mit der preußischen Kokosnuss soll nun die schiefe Gemeinschaftsfiktion restauriert werden - ganz im Sinne etwa der Morgenpost, die gegen alle Realität deklamiert, dass das Schlösschen vormals den "übergreifenden Staatsgedanken des alten Reiches und der Einheit der deutschen Stämme versinnbildlichte".

Was als derart "schönÓ (Schröder), "großartig" (Jammers) und "schmuck" (Krug) daherkommt, ist vor allem eine Demonstration: Nämlich der überlegenen Fähigkeit des neuen Deutschland, seine Vorgänger nach belieben simulieren zu können (Feudalismus) und dabei gleich ihre dialektische Geschichtsphilosophie mitzuentsorgen (Sozialismus). In diesem Sinne wäre das Stadtschloss ebenso "schön" wie ein S-Klasse-Mercedes - genau wie beim Lieblingsauto der Deutschen finden auch hier auf wundersame Weise Anmut und Prestigeträchtigkeit zueinander. Für King Louie war das natürlich schon immer klar: Auf der höchsten Säule sitzt der dickste Affe.

Was im übrigen die Kokosnuss angeht: Wieso geben wir sie nicht jenen, die sie als Teil ihrer Lebenswelt schätzen? Mit King Louie und seiner Affenbande hätte sich dann auch die aufreibende Fahndung nach einem Nutzungskonzept erledigt. Denn als königlich-preußisches Freigehege mit (dann hoffentlich) echten Schlosstrümmern wäre die historische Mitte Berlins das leuchtende Beispiel für eine wahrhaft feudale Wende in der Tierhaltung. Der Science Fiction "Planet der Affen" müsste dann allerdings neu verfilmt werden. Mit Wolf Jobst Siedler in der Hauptrolle.
Klemens Vogel

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